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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 37.1994

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Maier, Friedrich: Zukunft nicht ohne die Antike: Perspektiven des altsprachlichen Unterrichts : zur Eröffnung des DAV-Kongresses in Bamberg 1994
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https://doi.org/10.11588/diglit.33059#0051

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später jedoch, im 16. Jh., fotgte ihm der Humanist Erasmus von Rotterdam in seiner Quere/a pac/'s
als radikaler Fürsprecher einer Welt-Friedens-Idee nach. „Seit der Antike (so Klaus Podak in einem
Leitartikel der SZ zu Ostern 1994), in der die abendländische Philosophie begründet wurde, gibt es
ein nicht abreißendes Nachdenken über Ethik, über das Gute und Böse, über richtiges Verhalten,
über glückliches Leben - und wie es zu erreichen ist." Die Suche schließlich nach einer Sicherheit
und Frieden gewährleistenden Ordnung der menschlichen Gemeinschaft, immer engstens geknüpft
an die Frage nach der Verbindlichkeit von Werten und Normen, hat zu modellhaften Entwürfen
geführt bei Platon, Aristoteles, bei Thomas von Aquin und Thomas Hobbes, in griechischen und
lateinischen Texten also, wobei sich die späteren jeweils mit den früheren kritisch auseinandersetz-
ten und so zu neuen für Europa folgeschweren .Entdeckungen' kamen. Gilt etwa der Satz des
Scholastikers ,,/-/omo hom/nf am/cus" oder der des englischen Humanisten „F/omo hom/'nf /uptts"?
Eine Alternative, die - bei den brisanten politischen Konstellationen auf dem Globus heute - kaum
einen Schüler kalt läßt, ihn unmittelbar im Verständnis seiner Existenz trifft, ihn zu eigener Antwort
zwingt und ihn so in der Entwicklung seines Wertdenkens womöglich voranbringt. Sind solche und
ähnliche Unterrichtsgegenstände nicht geeignet, quasi von den Wurzeln her die Probleme unserer
Zeit begreifbar zu machen, so daß die Auseinandersetzung auch damit im jungen Menschen all-
mählich den Willen zu wecken hilft, einmal mit der Macht seines sich potenzierenden Wissens ver-
antwortungsvoll umzugehen? Klaus Westphalen hat dafür den Begriff einer „humanistischen Ver-
antwortungsethik" geprägt.
Es tut ohne Zweifel not, daß die Alten Sprachen ohne den Eigenwert der Texte zu vernachlässigen,
ihr Bildungsangebot auch einmal auf die aktuellen Existenzprobleme der Menschheit hin sondieren,
die ja, wie gesagt, immer ihren Sitz in der Geschichte haben. Das ist kein Anpassen an modische
Trends, nicht - wie früher einmal ein kritischer Philologe meinte - ein „Nicht-Ioskommen-Können
der Lehrer von der Zwangsvorstellung, sie müßten dem Zeitgeist ihre Aktualität immer neu bewei-
sen, nur um auf den gerade abfahrenden Zug noch aufspringen zu können" Diese Reaktion ist nur
in gebotenem Maße das Sich-Öffnen dem Fortschritt gegenüber, indem man sich, wie die anderen
Fächer auch, den bildungstheoretischen und bildungspolitischen Herausforderungen des Gymnasi-
ums stellt, und damit der Versuch der Latein- und Griechischlehrer, jener Stagnation zu entgehen,
zu der sie der reine Kult der Tradition verurteilte, so daß sie dann mit Notwendigkeit ins schulische
Abseits kämen.
Die zweite Folgerung, die sich aus der neuen Chance für die Alten Sprachen ergibt, lautet: Ein we-
nig Revolte gegen die Tradition - in der Art des Unterrichts. Wenn aus dem „Gestern", aus dem
„Erinnern", aus der „Herkunft" Anstöße zur Bewältigung von Gegenwart und Zukunft kommen
sollen, dann darf für den Latein- und Griechischtehrer nur ein Prinzip im Unterricht den höchsten
Rang innehaben: Verlebendigung und Lebensnähe.
In einem Interview, das ich 1993 mit der Schriftstellerin Ria Endres führen konnte, in dem sie im
Rückblick auf ihre eigene Schulzeit kein wohlwollendes Bild vom Lateinunterricht entwarf, machte
sie den Lateinlehrern den Vorwurf, sie würden „eine tote Sprache ein zweites Mal töten". Dabei
hätten sie doch, wie sie meinte, die Möglichkeit, „etwas Großartiges zu zeigen: die Schönheit der
Sprache, die Art der Logik, in der sich die Sprache Latein aktualisiert .., die Sprache in ihrer Bildhaf-
tigkeit, die Menschen in ihrem zwiespältigen Wesen, wilde Charaktere (Nero als eine rasende Fi-
gur), die ganze Wollüstigkeit einer Elite-Schicht, die Politik macht, ungeheuer ausgeprägte Men-
schenschicksale... Die Einflüsse und Wirkungen der Antike auf später, auf den europäischen Geist,
auf unsere Redeform und Denkweise, auf die Dialektik, auf das Philosophieren, auf die Kultur in
Europa und der Welt. Nichts von alldem!" - so die moderne Schriftstellerin (Jahrgang 1946). Nun
stieße diese ihre Attacke - wegen der zweiten Tötung des Lateins - ins Leere, würde man den Un-

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