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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 37.1994

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Nr. 2
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Lohmann, Dieter: "Boios petentibus Haeduis ... concessit.": zur Übersetzung von Caes. b.G. I 28,5 und zur Übersetzungsmethode
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https://doi.org/10.11588/diglit.33059#0068

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H BRAUER, (Schöningh) Erl. zu Buch I „Stelle: (Caesar) B/aecfu/s pefenf/bus concess/f, uf Bo/os ...
con/ocarenf"
H.-J. GLÜCKLICH, Textauswahl (Klett) z St „Bo/os als Thema-Angabe in Anfangsstellung, obwohl
eigentlich von con/ocarenf abhängig." Im Lehrerkommentar 91 ordnet Glücklich den Satz für seine
Struktur-Tabelle gleich so um: „Befenf/bus /-/aec/u/s - Bo/os uf con/ocarenf - concess/'f "
F IVlAiER / H Von, Auswahl (ratio Bd. 32): „Bo/'os (aus Betonungsgründen an die Spitze gestellt):
Objekt zu co//ocarenf "
G. HORNIG hält in seinem Schülerkommentar (Diesterweg), S 17, die Umstellung für so selbstver-
ständlich, daß er auf die syntaktische Zuordnung gar nicht erst eingeht, sondern nur eine Warnung
ausspricht: „Bo/os ... cd con/ocarenf, Wortstellung!"
Die Hineinnahme des Bo/os als Objekt in den uf-Satz findet sich durchgängig in alten Kommenta-
ren, z B Menge (Gotha, 1891) und Kraner/Dittenberger/Meusel (19.Auf! 1961). Uneinig ist man
sich allenfalls darüber, obpefenf/bus /-/aedufs als Dativobjekt von concess/f abhängt (Guthardt u.a.)
oder als Abi abs anzusehen ist (so T. Rice Holmes, C. I. Caesaris, De Bello Gallico, New York 1979,
zu I 28,5) und ob der uf-Satz außer von concess/f zugleich als abhängig von pefenf/bus zu denken
ist (so Hornig, LK S 63 u a ).
Wer es gewohnt ist, nach den überkommenen Regeln einen lateinischen Satz vom Prädikat her zu
„konstruieren", wird danach keinerlei Bedenken haben, in der üblichen Weise so zu übersetzen:
„Caesar erlaubte (concessd) den Häduern auf ihre Bitten hin, daß sie die Boier
in Ihrem Gebiet ansiedelten, weil sie durch ihre hervorragende Tapferkeit bekannt
waren."
Niemand scheint sich darüber zu wundern, daß ein einzelnes Akkusativobjekt aus der zweiten
syntaktischen Ebene eines an vorletzter Position angeordneten Objektsatzes so ohne
weiteres an den Satzanfang gestellt werden konnte, weit entfernt von seinem eigentlichen syntak-
tischen Ort und von diesem durch zwei ganz andersartige Satzglieder abgetrennt: durch das Dativ-
Objekt pefenf/bus /-/aec/u/s und den noch gewichtigeren Adverbialsatz quod egreg/'a v/rfufe eranf
cogn/d, der weder mit pefenf/bus noch mit dem uf-Satz im Zusammenhang stehen kann, da sonst
wegen innerlicher Abhängigkeit bzw. IVIodus-Angleichung ein Konjunktiv (essenf cogn/f/) zu erwar-
ten wäre Als Hyperbaton, das regelmäßig bei attributiven Beziehungen vorkommt, ist ein
solches Auseinanderklaffen auf unterschiedlichen Syntax-Ebenen kaum anzusehen, und die Pro-
lepse eines untergeordneten Gliedsatz-Elements über zwei ganz disparate Satzglieder hinweg
wäre singulär, nicht nur bei Caesar Vor allem: Wie eine so komplizierte Wortstellung zu Caesars
schlichtem Erzählstil passen kann, wird nirgends erörtert, und die naheliegende Frage, wie das
Bo/os jemals im normalen kommunikativen Prozeß beim akustischen Verstehen spontan gleich
richtig aufgenommen werden konnte, ist sowieso nicht Gegenstand des Nachdenkens: Latein ist
nun mal eine tote Sprache
Ich bin überzeugt, daß die Übersetzung nicht stimmt und daß die vorgeschlagenen Umstell-
Anweisungen auf gravierenden Mißverständnissen beruhen, die ihre Wurzeln in traditionellen Me-
thoden altsprachlicher Text- und Satzerschließung haben, die bis heute nicht überwunden sind.
Hier sind es vor allem zwei Fehlerquellen: 1. Die Ignorierung von Kontextbezie-
hungen innerhalb des zuvor gelesenen Textbereichs, eine - wie ich meine - noch im-
mer nachwirkende Folge der über Generationen hin üblichen Einzelsatz-Konzeption lateinischer
Lehrbücher. 2. Die alte Konstruktionsmethode, die den Satz nicht nach seinem natürli-
chen Ablauf, sondern nach den abstrakten Regeln der Grammatik „erschließt" Beide methodischen
Prinzipien sind die Ursache eines tiefgreifenden Defizits beim Umgang mit der lateinischen Spra-
che: Die Ignorierung von Kontext und Reihenfolge auf Text- und Satzebene.

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