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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 37.1994

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Aktuelle Themen
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Kiefner, Gottfried: Pfeiler im Strom: Philipp-Melanchton-Stiftung in Tübingen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33059#0110

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Pfeiter im Strom
Philipp-Melanchthon-Stiftung in Tübingen
Allenthalben haben die Altphilologen und mit ihnen die Theologen und überhaupt die Vertreter
der Geisteswissenschaften Anlaß, über die Zeitläufte besorgt zu sein, wenn sie die Rolle der Antike
im Bewußtsein der Zeitgenossen, auch der gebildeten, analysieren und die Pläne der Bildungspoliti-
ker begutachten, die der Zukunft der Alten Sprachen im Bildungswesen gelten. Stellungnahmen
aller Art werden angeregt und realisiert, die dem scheinbar unumkehrbaren Trend gegensteuern
sollen.
Inmitten all dieser Aktivitäten ist über einen ganz anders gebauten Pfeiler im Strom der Zeit zu
berichten, der auf bemerkenswerte Weise unprätentiös, aber doch sichtbar errichtet wurde und der
sich hoffentlich als standfest erweist. IVlit ihm soll denen, die sich nicht bloß im Strom der Zeit mit-
treiben lassen und auch nicht nur Opposition machen wollen, eine Möglichkeit der besseren Fun-
dierung angeboten werden. Die Rede ist von der „Philipp-IVtelanchthon-Stiftung" an der evang-
theol. Fakultät der Universität Tübingen, die dem ideellen und finanziellen Engagement des jüngst
emeritierten Neutestamentlers, Judentums- und Hellenismusforschers Prof. Martin Hengel zu ver-
danken ist.
Melanchthons, des humanistisch-philologischen Lutherfreundes Name ist nicht zufällig gewählt.
Mit der Stiftung will Hengel dem Rückgang der sprachlichen Voraussetzung zum sinnvollen Theo-
logiestudium aktiv entgegenwirken, dieser Voraussetzung Halt und Festigung bieten und zur besse-
ren Kenntnis des geistigen Umfeldes und der historischen Bedingungen des Neuen Testaments und
des frühen Christentums beitragen. Sprachliche Bildung ist nach Hengeis Überzeugung eine unver-
zichtbare Komponente für die Theologie, die dem Wort verpflichtet ist und deren Arbeit am Wort
in Worten erfolgt.
Dafür bietet die Melanchthon-Stiftung seit dem WS 93/94 pro Semester ein Seminar an, das die
Teilnehmer durch das Medium der Alten Sprachen, des Griechischen vor allem, später auch des
Lateinischen, in die vor- und nichtchristliche Welt der Antike und ihr Denken geleiten soll.
Aber nicht nur Theologen, wenn auch in erster Linie, sind im Seminar willkommen, sondern dar-
über hinaus alle Interessierten aus anderen Fakultäten, die sich von den antiken Sprachen anspre-
chen lassen wollen oder dazu die Notwendigkeit empfinden. So hatte das erste Seminar Mitglieder
aller Altersstufen - vom Spiritus rector an über Dozenten und Assistenten bis zum niedrigsemestri-
gen Studenten, und neben den Theologen gab es auch Philologen und einen Juristen. Ein Glücksfall
ist es, daß Hengel als Leiter der ersten Seminare mit einem unserer DAV-Großen, nämlich mit Her-
mann Steinthal, den bestmöglichen praecepfor - German/'ae möchte man in Anlehnung an den
Stiftungs-Heiligen hinzufügen - gewinnen konnte, der allein schon durch seine gewinnende Um-
gangsart für die Antike einzunehmen imstande ist - ganz zu schweigen von seiner wissenschaftli-
chen und didaktischen Kompetenz.
Steinthal wählte als erstes Semesterthema „Religiöse Texte aus griechischen Dramatikern". Anhand
ausgewählter Stellen aus allen drei athenischen Tragikern, einmal auch aus Aristophanes, die exakt
und mit der notwendigen sprachlichen Klärung übersetzt wurden, ergaben sich aufschlußreiche
Vergleiche, Kontraste und Parallelen zwischen jüdisch-christlicher und griechischer Tradition. Auch
forderte der Text immer wieder die Synopse des klassischen und des hellenistisch-
neutestamentlichen Sprachgewands heraus. Junge Theologen sagten mir, sie hätten großen Ge-
winn aus den Seminarsitzungen gezogen; mir schien die Verbindung der Spracharbeit mit der Auf-
deckung des religiösen Denkens im 5. vorchristlichen Jahrhundert besonders geglückt.

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