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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0049

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2. Nürnbergs verschiedene (Er-)Fassungen

Verfasser und deren kulturellen Bindungen als über jene der Beschriebenen
aussagen, wie etwa Sdor formuliert, muss dieses Interpretationsschema in
letzter Konsequenz zugleich eine vorurteilsfreie und von Stereotypen freie
Fremdwahrnehmung insgesamt negieren V Genutzt wurde es in den vergan-
genen Jahren insbesondere in zahlreichen mediävistischen Arbeiten über Rei-
seberichte und die Wahrnehmung des Fremden in der Geschichtsschreibung.^
Bedeutungslos als Analyseraster bleibt die »Alterität« dagegen in der For-
schung über autobiographisches und biographisches Schrifttum des Spätmit-
telalters beziehungsweise (wie in der vorliegenden Studie) über regionale oder
lokale Identitäten. Sie sind stattdessen auf die identitätsschaftenden Gemein-
samkeiten zwischen Menschen in deren Art und Weise der Weltinterpretation
fokussiert.^ Identitätsproduktion findet in dieser Deutungslogik weder in der

27 Vgl.ScioR, 2002, S. 11.
28 Vgl. eine Übersicht über aktuelle mediävistische Studien zur Thematik des Fremden bei SciOR,
2002, S. 12f., bibliographische Verweise ebd., Artm. 11 und 13. Dezidiert widersprochen wird
dem Alteritäts-Konzept durch das Schlagwort der »Hybridität«, das im Forschungsbereich der
»transculturality«, der Analyse kulturübergreifender Kontakte und der Austauschprozesse
zwischen den Kulturen, dominiert. Es postuliert, dass trotz aller Vorsicht gegenüber der Selbst-
referentialität von Diskursen über »das Andere« ein wechselseitiger »Kulturtransfer« möglich
bleibe, dass das oft bemühte Täter/Opfer-Schema überwunden werden müsse. Zuerst fand das
Schlagwort der »Hybridität« Eingang in die transnational orientierte Forschung der Frühen
Neuzeit, vgl. etwa SusANNNA BuRGHARTz, MAiKE CHRISTADLER und DOROTHEA NoLDE (Hg.), Be-
richten, Erzählen, Beherrschen. Wahrnehmung und Repräsentation in der frühen Kolonialge-
schichte Europas, Frankfurt a. M. 2005, s. bes. den einleitenden Beitrag mit einer knappen Skizze
der theoretischen Diskussion in der Frühneuzeitforschung von SusANNA BuRGHARTz, »Transla-
ting Seen into Scene?« Wahrnehmung und Repräsentation in der frühen Kolonialgeschichte
Europas, in: ebd., S. 161-175, hier S. 166f. Kulturübergreifene Kontakte und Austauschprozesse
zwischen den Kulturen des Mittelalters untersucht seit 2005 das DFG-Schwerpunktprogramm
1173 »Integration und Desintegration der Kulturen im Europäischen Mittelalter«, vgl. bes. RAI-
NER BARZEN, VlCTORIA BuLGAKOVA, FENNART GÜNTZEL, FREDEREK MuSALL, JOHANNES PAHLITZSCH
und DiTTMAR ScHORROwiTz, Kontakt und Austausch zwischen Kulturen im europäischen Mit-
telalter, in: Mittelalter im Fabor. Die Mediävistik testet Wege zu einer transkulturellen Europa-
wissenschaft, hg. von MICHAEL BORGOLTE, JULIANE SCHIEL, BERND SCHNEIDMÜLLER Und ANNETTE
SEiTz, Berlin 2008, S. 195-304.
29 Der Verzicht auf die Analysekategorien der »Alterität« wie auch der »Hybridität« (vgl. vor-
angehende Anm.) resultiert ganz trivial aus dem Schweigen der Quellen zu den durch sie
aufgeworfenen Fragestellungen: Nach »hybriden« Kulturformationen lässt sich nicht fragen,
da KulturOvnsk'r in der spätmittelalterlichen Stadt- und Fandeschronistik keine Rolle spielt.
Auch das »Andere« und »Fremde«, dem gegenüber sich das »Eigene« abgrenze, wird in
den Zeitzeugnissen nicht thematisiert, der »Nürnberger« wird also nicht im Kontrast zum
»Nicht-Nürnberger« geschildert, sondern statt dessen aus seiner Vergangenheit heraus und
durch seine lokale Verortung definiert. GiESEN, 1999, S. 29f., hat diesen Befund in seine in
Anm. 115 skizzierte Hypothese, dass Grenzziehung eine der elementaren Operationen zur
Identitätsproduktion darstelle, daher nur durch einen argumentatorischen Kniff einfügen
können: »Traditionale Febenswelten erhalten hier ihre Grenze dadurch, daß sie sie nicht er-
wähnen.« Eine Quellenanalyse auf der Basis dieser Definition muss freilich Spekulation blei-
ben. Ebenfalls fragwürdig erscheint meines Erachtens, dass Giesen traditionale Gesellschaften
generell als nicht innovationsfähig und sozial immobil definiert, vgl. ebd., S. 29. Fruchtba-
rer für die Untersuchung der genannten Quellen ist statt dessen der Diskurs über Identität,
den PETER WAGNER, Fest-Stellungen. Beobachtungen zur sozialwissenschaftlichen Diskussion
über Identität, in: Identitäten, hg. von ALEiDA AssMANN und HEiDRUN FRIESE, Frankfurt a. M.
 
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