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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0072

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2.2. Stadtchronistik als »Identitätserzählung<

71

sen fiel das Archiv in die Zuständigkeit ihrer Kollegen aus der Losungsstube,
also der obersten Finanzbehörde der Stadt.^
Nachvollziehbar wird diese Zuordnung angesichts der im Archiv verwahr-
ten Dokumente, deren Inhalte bedeutende finanzielle Werte beurkundeten,
etwa der teuer erkauften Privilegien, sowie der Notwendigkeit, den Überblick
über Barschaften, Außenstände und fällige Verbindlichkeiten zu behalten ü
Zugleich aber waren die Losunger - benannt nach der Losung, der vom Rat
geforderten Vermögenssteuer, die jeder Bürger zu leisten hatte - seit dem Ende
des 14. Jahrhunderts zu den führenden Amtsträgern in der Stadtregierung auf-
gestiegen A Als einzige fortlaufend über den Stand aller VerwaltungsVorgänge
informiert, hatten sie ihren Einfluss auf die gesamte Politik immer stärker an
sich und vom Gesamtrat abgezogen. Sie entschieden, was dem Rat über die Fi-
nanzlage mitgeteilt und welche finanzpolitischen Vorschläge ihm gemacht wer-
den sollten A Am Beginn des 16. Jahrhunderts urteilte der intime Nürnberg-
Kenner Christoph (II.) Scheurl daher, dass allein die Losunger davon Kenntnis
hätten, wie rdc/i Mnd mec/iüg die gemein scfmfz/azwer oder iosMHgssfM&en seien A
Da die Machtposition der Losunger auf deren exklusivem Zugriff auf Infor-
mationen beruhte, lag es nicht in ihrem Interesse, dass das Archiv einem brei-
ten Bedürfnis nach Identitätssicherung entgegenkommen sollte oder gar ein
die gesamte Stadtgemeinde fundierendes und identitätsstiftendes Allgemein-
gut darstellen konnte. Statt dessen müssen die dort archivierten Dokumente
und ihre Inhalte als Herrschaftswissen gelten, als gut gehütetes Reservoir an
Rechten, Titeln und Vorgängen, das nur den Losungern und vereidigten Be-
amten im Losungsamt offen stand und dessen Inhalt und Wirkmacht man nur
im Verteidigungsfall preiszugeben bereit war. Auch der Ort seiner Unterbrin-
gung spricht für diese These: Zwar direkt von der Losungsstube aus zu errei-
chen, jedoch nicht für jeden erkennbar lag das Archiv hinter einer doppelten

Begriff der Ratsverlässe stammt von der Floskel es ist erteilt oder es ist verlassen, mit der bei
den Sitzungen des Inneren Rats Beschlüsse verkündet wurden. Ab dem Jahr 1449 vereinzelt
und von 1471 fortlaufend bis 1808 sind im Schmalfolioformat fast 4500 Bände dieser protokoll-
artigen Aufzeichnungen, jeweils ein Heft für eine der vierwöchigen Bürgermeisterperioden,
überliefert. Inhaltlich spiegeln sie die gesamte Fülle öffentlichen Lebens und der politischen
Verhältnisse. Ihre vollständige Edition ist noch immer Desiderat, vgl. PETER FLEiscHMANN,
Art. Ratsverlässe, in: Stadtlexikon Nürnberg, 2. verb. Aufl. Nürnberg 2000b, S. 859, und aus-
führlich ERNST MuMMENHOFF, Die Nürnberger Ratsbücher und Ratsmanuale, in: Archivalische
Zeitschrift. Neue Folge 17,1910, S. 1-124.
64 Es gehörte zu den Pflichten der beiden Losunger, gemeiner Stadt Brie/e nnd Btieder getreMÜed ZM
pjlegen nnd ZM Fewadren, vgl. JorFANN PETZ, Der Reichsstadt Nürnberg Archivwesen, in: Archi-
valische Zeitschrift 10,1885, S. 166-170, hier S. 169.
65 PiTz, 1959, S. 199 und 261.
66 Die Losunger konnten den Großteil der Kompetenzen an sich ziehen, die im 14. und begin-
nenden 15. Jahrhundert vom königlichen Schultheiß auf die Stadtgemeinde übergingen, vgl.
dazu PiTz, 1959, S. 197, und PETER FLEiscHMANN, Art. Losungsamt, in: Stadtlexikon Nürnberg,
2. verb. Aufl. Nürnberg 2000b, S. 652.
67 PiTz, 1959, S. 198.
68 Christoph Scheurl's Epistel über die Verfassung der Reichsstadt Nürnberg. 1516, in: Die Chro-
niken der fränkischen Städte. Nürnberg, Bd. 5, Leipzig 1874 (Die Chroniken der deutschen
Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 11), Nr. XVI, Anhang A, S. 781-804, hier S. 795.
 
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