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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0149

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148

2. Nürnbergs verschiedene (Er-)Fassungen

düng spiegelt - und das den Kompilatoren der »Jahrbücher« und der »deut-
schen Weltchronik« noch völlig fremd war.
Angesichts der geschärften philologischen und empirischen Methodik, die
Meisterlin anzuwenden trachtete, ist Helmraths generalisierendem Urteil zu-
zustimmen, dass die Humanisten als Historiker tendenziell quellenkritisch und
mythenskeptisch - »um das einstige Modewort zu verwenden: dekonstruktivis-
tisch« - waren. Für zweifelhaft dagegen hält er, dies zugleich als Beweis für ei-
nen kompromisslosen Drang zur Objektivität zu interpretierend^ Mythenkritik
schloss neue Mythenkonstruktion gerade nicht aus, die Kritik an der fremden
Meinung sollte vielmehr die eigene Konstruktion umso glaubwürdiger erschei-
nen lassen. Neue Mythen dürfen nach Helmrath daher nicht als »Rückfall« ge-
wertet werden, sondern müssen zur Einsicht führen, dass es keinen linearen
Fortschritt an »Objektivität« in der Quellenkritik gibtd^ Vermeiden aber lässt
sich mit dieser Erkenntnis das Verdikt der Fälschung, jenem - so Helmrath -
»wenig glücklichen, da moralisch ab wertenden Forschungsbegriff«
Meisterlins Manipulationen seines Materials freilich sind zugleich die Kon-
sequenz aus seinem historiographischen Anspruch und Konzept, in denen
schon die Editoren des 19. Jahrhunderts seine genuine Feistuug erblickten und
für die ihn Joachim Schneider als »Begründer der Gattung der humanistischen
Stadtgeschichte in Deutschland« überhaupt würdigt.^ Ein letztes Mal soll
hier der Vergleich mit den »Jahrbüchern« und der »deutschen Weltchronik«
bemüht werden: In ihnen wurden universalhistorische und stadtgeschichtli-
che Notizen allein wegen der chronologischen Anordnung der Nachrichten
durcheinander gemischt, inhaltlich blieben sie zusammenhanglos nebeneinan-
der stehend^ Meister lins Chronik dagegen verfolgte eine Feitidee, der er sein
Material unterordnete: Mit seinem Text wollte er die Größe und den Status
der gegenwärtigen Reichsstadt Nürnberg aus ihrer Vergangenheit heraus er-
klären und legitimierend^ Um dieses Ziel zu erreichen, suchte er Nürnbergs
Geschichte systematisch in der Königs- und Kaiserreihe zu verankern und zu
versteigert Der Autor selbst definierte in der deutschen Fassung die Reichs-

486 HELMRATH, 2005, S. 359.
487 Vgl. HELMRATH, 2005, S. 361.
488 Vgl.ebd.,S.361f.
489 Vgl. SCHNEIDER, 1997, S. 426.
490 Zu relativieren ist demnach meines Erachtens das weit verbreitete Urteil - hier etwa in den
Worten Johannes Bernhard Menkes -, man habe in den Weltchroniken »einen umfassenderen
(heils-)geschichtlichen Rahmen« gefunden, »in den man die Ereignisse der Stadtgeschichte
einbauen und damit einen Halt für deren Darstellung gewinnen konnte«, vgl. JOHANNES BERN-
HARD MENKE, Geschichtsschreibung und Politik in deutschen Städten des Spätmittelalters. Die
Entstehung deutscher Geschichtsprosa in Köln, Braunschweig, Lübeck, Mainz und Magde-
burg, Köln 1960, S. 169; s. ein vergleichbares Urteil bei LOTTES, 2000, S. 50, nach dem diese Wer-
ke »den eigenen Bezugshorizonten in den größeren Entwürfen der Heils- und Weltgeschichte
einen legitimen Ort zuzuweisen« suchten.
491 Nach SCHNEIDER, 1997, S. 427, stellt Meisterlins Nürnberger Chronik damit auch gegenüber
dessen vorangegangener Stadtchronik über Augsburg von 1456/57 einen bedeutenden Fort-
schritt dar, werde doch als leitende Idee erst hier konsequent und systematisch umgesetzt, die
zeitgenössische Verfassung der Reichsstadt historisch zu erklären und zu rechtfertigen.
492 So schon SCHNEIDER, 1997, S. 424, 2000a, S. 197,1991, S. 16.
 
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