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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0245

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2. Nürnbergs verschiedene (Er-)Fassungen

Gesellenstechens 1538^ wieder auf ein fiktives Sprecher-Ich zurück, im letz-
teren Spruch auf einen ahnungslosen Kleinhändler aus dem Umland, der gen
Nürnberg zieht, um seinen /(nun nuder ZM^M/Zen.^ Doch statt seine Waren feilzu-
bieten, wird er beide Male durch ein grosses /an/cn magisch angezogen/^ das
ihn veranlasst, sich zur Menschenmenge vor dem Rathaus zu gesellen. Wäh-
rend das Sprecher-Ich im Text über den Schembartlauf am Wegesrand stehend
wiederum auf einen alten, namenlosen Mann trifft, der ihm das Geschehen
erklärt, darf es im Spruch über das Gesellenstechen sogar einen exponierten
Blick auf das Turnier am Markt genießen. Sein Dialogpartner, der mit ihm be-
freundete Kaufmann Wolff Rüllen, führt das Ich auf seine Nachfrage ins obere
Stockwerk des Hauses, von dem aus es durchs Fenster zusehen kann.^ Auch
in den umliegenden Fensterlaibungen beobachtet es OTÜern nmmi und yfawon,
die das nderspie/ verfolgen; selbst auf den Dächern und Zinnen haben sich Zu-
schauer niedergelassen.^
Erzählerische Einschübe wie in Schneiders Reimrede über den Auszug der
Nürnberger Truppen und erst recht die aufwendigen fiktiven Rahmenhand-
lungen, die Sachs für mehrere seiner Sprüche zu ganz unterschiedlichen The-
men schuf, sind erst ab der Zeit um 1500 nachweisbar. Als Kontrastbeispiel sei
Hans Rosenplüt ein halbes Jahrhundert zuvor genannt: Trotz aller Anschau-
lichkeit, die der sprachgewaltige Dichter in seiner Reimrede über den Mark-
grafenkrieg bewies, hätten solche Passagen für ihn wohl nicht den nötigen
Informationswert besessen. Erklären lässt sich dieser Befund sowohl mit der
Beobachtung, dass gerade die Dichtungen des Hans Sachs immer faktenärmer,
zugleich immer suggestiver in ihren Deutungen wurden. Daraus ließe sich die
Tendenz ablesen, dass Lieder und Reimreden in Sachsens Zeit ihre Funktion als
politisch-gesellschaftliches Informationsmedium weitgehend verloren hatten.
Stattdessen überwog nun ihr Unterhaltungs- und (moralischer) Belehrungs-
anspruch. Doch zugleich offenbaren gerade diese »Genreszenen« noch mehr
- nämlich einen neuen Blick für bislang Selbstverständliches, für städtisches
Leben, städtische Erfahrungshorizonte, das »folkloristische Detail«, das nun
nicht mehr nur für den Fremden erklärungsbedürftig, sondern auch für den
Einheimischen erzählenswert erschien. Dieser neue Blick aber ist nicht denkbar
ohne die Entwicklung einer »Textgattung«, die ab der Mitte des 15. Jahrhun-
derts in vielen Städten zu blühen begann, gerade in und für Nürnberg im 15.
und 16. Jahrhundert eine ebenso steile wie beispiellose Karriere erfahren sollte:
das Genre der Stadtbeschreibung beziehungsweise des Städtelobs.

445 Hans Sachs, Gesellenstechen, ed. Hans Sachs, Werke, Bd. 8, hg. von ADELBERT VON KELLER,
Tübingen 1874 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 121), S. 745-749.
446 Ebd.,S.745,V.5f.
447 Ebd., S.745,V. 9.
448 Ebd., S. 745, V. 12-15.
449 Ebd., S. 745, V. 28f., und S. 746, V. 2f.
 
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