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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0416

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3.3. Innere Konfliktherde

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ihrer Kleidung und den mitgeführten Requisiten widmet Sachs seine Aufmerk-
samkeit: Dass die Schembartläufer jedes Jahr mit neuen Kleidern ausgestattet
werden, deutet er als Neuerungssucht der Aufständischen. Der Schmuck und
Prunk ihrer Kleidung sei dagegen Symbol für ihren Hochmut. Dass sie bart-
lose Masken tragen, erklärt er damit, dass der Aufruhr von jungen, unerfah-
renen und verblendeten Leuten angestiftet worden sei. Die Schembartläufer
trügen Schellen als Attribute des Narren und »Badersquesten« - Laubbüschel,
die Badern zur Behandlung ihrer Kunden dienten -, die Sachs als Zeichen der
Ehrlosigkeit, des Mutwillens und der Schande bezeichnet. Die Spieße und
das Feuerwerk deutet der Autor als Symbole der Gewalteskalation. Schließ-
lich werde der Zug auch von Teufeln begleitet, so Sachs: Sie seien die rechten
ans dz iher gewesen, die den Neid in die Gemeinde getragen hätten. Am Ende
des Schembartlaufs wurde der mitgeführte Wagen, die oben bereits genannte
»Hölle«, traditionell als großes Spektakel verbrannt. Auch diesen letzten Akt
bezog Sachs selbstverständlich in seine Deutung ein: Das Verbrennen der Hölle
sei das Zeichen dafür, dass die Aufständischen weder Hölle noch Teufel fürch-
teten, bis sie zugrunde gegangen seien.
Der Spruch schließt wieder mit einer Apostrophe, die dem Publikum noch-
mals die allegorische Aussage des Umzugs bestätigt: Sc/zzzüL also zzzcrcAs/ du
/zczz/, / Was der sc/zeizzpzzr/ dedendf, / Wey/ doed uze/ /aasen/ send, / D/e der dzny ni/
uers/end, / Das der sc/zeizzpzzr/ /s/ nur / Vorzy a//er azz^fnr / E/n uerdorgener sp/ege/, /
Der gnza/n za eynenz s/ge/ / Tärs/cd//g s/cd za dä/en / Vbr azz^rär/sedenz azä/end^
Ein weiteres Mal freilich ist Sachsens Gedicht damit gebrochen. Sein apostro-
phiertes Publikum konnte schließlich dem Schembartlauf nicht mehr selbst
vom Straßenrand Zusehen, sondern kannte ihn nur aus der Erinnerung oder
Erzählungen. Auch die Frage, wie repräsentativ die Erklärungen und Deutun-
gen des Alten im Spruch zu verstehen sind, ist daher nur mit Vorsicht zu be-
antworten: Ob die von Sachs in Reime gebrachte historisierende Herleitung
des Schembartlaufs vom Aufstand schon den Zugteilnehmern ab der Mitte des
15. Jahrhunderts bekannt gewesen oder auch nur den Zeitgenossen des Autors
allgemein geläufig war, bleibt Spekulation. Fassbar ist jedoch das Wissen des
16. Jahrhunderts, dass die beiden Fastnachtsbräuche in der Aufstandszeit wur-
zelten, so zeitgleich zu Sachsens Spruch in der bereits genannten gereimten
Vorrede, die den über 80 so genannten Schembartbüchern - reich illustrier-
ten Prachtcodices, die bis ins 18. Jahrhundert hinein zur Erinnerung an diesen
spätmittelalterlichen Brauch entstehen sollten - vorangestellt wurde." '
Wenn in der Zeit um 1450 die ersten Belege über den Schembartlauf mit der
verstärkten historiographischen Beschäftigung mit dem Aufstand von 1348/49
zusammenfielen, so entstand auch Sachsens Schembart-Spruch in einer Zeit,

112 Ebd., S. 207, V. 34, bis S. 208, V. 4.
113 Nur auf den ersten Blick erscheint paradox, dass der Schembartlauf gerade dann einen beson-
deren Stellenwert in der schriftlichen Erinnerung der Stadt erhielt, als er bereits nicht mehr
stattfand, doch gerade die Abschaffung des Brauchs machte die Sicherung seiner Erinnerung
nötig, vgl. dazu KÜSTER, 1983, S. 36. Nach Küster, ebd., S. 34, kann nur für eine einzige Schem-
barthandschrift ein Entstehungsdatum noch in der Zeit, als der Schembartlauf stattfand, an-
genommen werden.
 
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