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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0450

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4.1. »Warum nicht auch ich?-

449

Selbst der Stadtpatron Sebaldus, so hatte schon Eobanus Hessus vor Faleti
geringschätzig festgestellt, werde in Nürnberg noch immer von einer PMgnd
pars als dzuMS bezeichnet.^ Zwar hatte der Rat mit der Mehrzahl der Feiertage
auch den Sebaldustag abschaffen lassen. Doch seine Statuen und Bilder, vor al-
lem sein Grab blieben unangetastet, wie der Rat insgesamt darauf bedacht war,
die Inneneinrichtung der Kirchen zu erhalten. Wie in vorreformatorischer Zeit
wurde der Sarg des Heiligen im Abstand von einigen Jahrzehnten von den drei
obersten Hauptleuten geöffnet und die Unversehrtheit der Reliquien konsta-
tiert. Zwar schrieb man ihm keine Fegenden mehr, doch seine Vita wurde wei-
terhin in die Stadtchroniken und die patrizischen Familienbücher des 16. Jahr-
hunderts aufgenommen. Außerdem ging der Stadtpatron weiterhin durch alle
Hände, denn die Nürnberger Münzen trugen weiterhin sein Konterfei/"
Dass die Erinnerung an den Heiligen in der allgemeinen Wahrnehmung
lebendig blieb, mag auch daran liegen, dass man im reformierten Nürnberg
keinen adäquaten Ersatz für ihn fand. Mit der Ablehnung der Heiligenkulte
beziehungsweise der Rückbesinnung auf das biblische Figurenpersonal fehl-
te dem Futhertum ein vergleichbares Mittel, lokale Identitäten darzustellen.
Den heiligen Petrus, den Eobanus provozierend als Patron der Sebalduskirche
nannte,^ konnte man schließlich überall verehren. Nürnbergbezüge hatten
in seiner in der Bibel verbürgten Vita ebenfalls nichts verloren. Andererseits
fehlten in Nürnberg ähnlich starke Protagonisten der neuen Fehre wie etwa
Zwingli in Zürich.
Als Fazit lässt sich daher ziehen: Auch wenn die Reformation in Nürnberg
einen eigenen, charakteristischen Verlauf nahm, übte sie kaum Einfluss auf die
Artikulation spezifisch Nürnbergischer Identitäten aus. Damit bleibt unbestrit-
ten, dass sie wirksam war für die Ausbildung anderer Identitätskomplexe, etwa
des bäuerlichen Selbstverständnisses oder aber der Handwerker, vielleicht so-
gar der Mittelschichten insgesamt, die erstmals eine gemeinsame Stimme er-
hoben. Vor allem bildeten sich quer zu allen ständischen Schichtenzugehörig-
keiten konfessionelle Identitäten heraus. Doch die städtische Gruppenidentität
blieb von diesen Veränderungen unberührt. Ein Fob auf Nürnberg, wie es in
den altgläubigen Sebaldslegenden des ausgehenden 15. Jahrhunderts zu fin-
den ist, sucht man in den reformatorischen Schriften jedenfalls vergeblich.^

39 Helius Eobanus Hessus, Idrds Nordvrga diMsfmP?, ed. VREDEVELD, 1990, S. 183-266, V. 1036.
40 Vgl. FRiTz ScHNELBÖGL, Sankt Sebald in Nürnberg nach der Reformation, in: Zeitschrift für
bayerische Kirchengeschichte 32,1963, S. 155-172.
41 Helius Eobanus Hessus, Idrds Nordvrga diMsfmP?, ed. VREDEVELD, 1990, S. 183-266, Überschrift
IcmplMiw Ddd Petr;, ^Mod SeMddiMiw uoouif S. 248, s. auch V. 1025.
42 Von einer frühen lokalen Konkurrenz in Religionsfragen zeugt das Sprichwort Wenn Ndmiw-
Nrg wein wem, so woP Pds ZM fkwdvry wrzcmn in der Deutung, wie sie Johannes Agricola in sei-
ner 1528 entstandenen Sprichwörtersammlung festhielt: D;'/i sprwdworf wirf ei/M gMPer scMimUr
er/MM&M dadoM, der ivt/cr sfedf arf gewMsf daP, so erklärt Agricola nach einem Seitenhieb auf die
lockeren sittlichen Zustände der fest dem katholischen Lager zuzurechnenden Bischofsstadt
Bamberg - Agricola zählt als dort offen geübte Laster die Prasserei, die Hurererei und den
Ehebruch auf, Johann Agricola, Sprichwörtersammlungen 1, ed. GiLMAN, 1971, S. 295-297,
Nr. 345, vgl. auch MAAS, 1992, S. 6f. Das Lob von Nürnbergs Rechtschaffenheit bleibt hier aller-
dings auf die Funktion beschränkt, die Folie für Bambergs Verruchtheit zu bilden. Relativiert
 
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