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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0452

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4.2. Alter und Schönheit

451

Sehenswürdigkeiten zu sprechen, während solche Beschreibungen dem volks-
sprachlichen Städtelob des Spätmittelalters völlig fremd waren. Seine Autoren
nahmen Nürnberg nicht als räumlich-bauliches Ensemble, sondern immer
als funktionierenden Stadtorganismus und als Bürgergemeinde, als »Sozial-
körper« und Personenverbund wahr.
Selbst wenn etwa Hans Rosenplüt öffentliche Gebäude wie das Kornhaus
oder den »Schönen Brunnen« auf dem Nürnberger Hauptmarkt nennt, so
interessiert ihn nie ihre topographische Lage oder gar ihre architektonische
Würdigung. Stattdessen beschreibt er ihre Funktion für die Gemeinde: Beim
Kornhaus gibt er die Information, dass es in Kriegszeiten vor Hungersnöten
schützt. Im Fall des »Schönen Brunnens« nutzt er dessen Figurenprogramm für
religiös-moralische DidaxeA Noch stärker wird diese Definition der Stadt als
Sozialkörper in den Werken von Hans Sachs deutlich, wenn er seine Heimat-
stadt in die Allegorie des Adlers fasst, der seine Jungen füttert.^
Das noch im selben Jahrzehnt wie Rosenplüts Werke einsetzende humanis-
tische Städtelob dagegen präsentiert eine verräumlichte Vorstellung von Stadt
als Konglomerat von Gassen und Plätzen, unverwechselbar durch spezifische
Sehenswürdigkeiten, gelegen innerhalb einer charakteristischen Landschaft,
definiert durch klare geographische Koordinaten. Idealiter nähert sich der
humanistische Autor seinem Sujet, indem er zuerst die Region geographisch
umreißt, bevor er die naturräumlichen Bedingungen der zu lobenden Stadt
schildert. Uber Nürnberg steht hier üblicherweise - wie in Kapitel 2.4. darge-
legt -, wie unfruchtbar und sandig der Boden sei, was ebenso stereotyp mit der
Erklärung verbunden ist, dass diese Kargheit durch den besonderen Fleiß der
Einwohner wettgemacht werde. Dann tritt der Autor literarisch vor die Mauern
der Stadt und beschreibt zuerst ihre Silhouette, bevor er sich ins Innere wen-
det.
Die Gattungskonventionen lenkten also entscheidend den Blick und prä-
figurierten so die Wahrnehmung der Autoren. Selbst dem Handwerkerdichter
Hans Sachs, der ein versierter Kenner humanistischer Literatur war, kam es
nicht in den Sinn, in seiner volkssprachlichen Reimdichtung über Nürnberg
den Situs der Stadt zu beschreiben. Zwar platziert er seine Stadt inmitten ei-
nes Waldes - im Gegensatz etwa zu Rosenplüt, dessen Nürnberg im Nirgend-
wo liegt. Doch in dem von Sachs geschilderten Wald lassen sich keinesfalls
die Nürnberger Waldgebiete St. Sebald und St. Lorenz identifizieren, wie sie
etwa sein Zeitgenosse Erhärt Etzlaub auf seiner kolorierten Karte von 1516,
sorgsam weiter unterteilt je nach dem Alter des Baumbestandes in den ein-
zelnen Parzellen, skizzierte.^ Bei Sachsens Wald handelt es sich vielmehr um
den klassischen /ocMS amocmis der höfischen Literatur, einen ortlosen Ort, Topos
der Gesellschaftsferne. In ihm trifft das Sprecher-Ich nicht auf reale Personen

44 Vgl. Hans Rosenplüt, Reimpaarsprüche und Lieder, ed. REICHEL, 1990, Nr. 20, V. 115-148.
45 Vgl. dazu Kap. 2.4.2.
46 Für eine Abb. vgl. ScHiERMEiER, 2006, S. 64, und PFEIFFER, ScHWEMMER, 1970, Nr. 12, s. auch
AuGusT ORTEGEL, Zum Nürnberger Waldplan von 1516, in: Mitteilungen des Vereins für Ge-
schichte der Stadt Nürnberg 57,1970, S. 232-241.
 
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