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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0462

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4.2. Alter und Schönheit

461

beziehen und deren Charakteristika aufgreifen. Lobenden Charakter haben sie,
weil sie den »wirklichen« Zustand möglichst vorteilhaft darbieten. Doch Celtis
und Eobanus würden sich zu Recht missverstanden fühlen, wollte man ihre
Idealisierungen nur als Beschönigungen verstehen. Welche Funktionen aber
sollten und konnten solche Idealisierungen stattdessen erfüllen?
Gerade die Werke aus dem Komplex der Lobschriften, so lässt sich mit
Hartmut Kugler feststellen, stellen die Stadt nicht dar, wie sie ist, sondern wie
sie sein so)C Das in ihnen präsentierte »Stadtmodell« ist jedoch nicht als Ge-
genbild zur Wirklichkeit zu verstehen, sondern im Sinn eines Leitbildes, das
normative Züge trägt. Unverkennbar besitzt etwa das Lob des Handwerker-
dichters Kunz Has auf die Gewerbe- und Handelsverfassung der Stadt und da-
mit auf das reibungslose Funktionieren des Stadtorganismus eine normierende
und sozialdisziplinierende Funktion.
Doch nicht nur nach innen, auch nach außen kann durch die Idealisierung
eine stabilisierende Wirkung erzielt werden. Indem etwa die Nürnberger
Stadtordnung zum vollkommenen »Staatswesen«, der Nürnberger Rat zum
idealen Regiment verklärt werden, sind sie verabsolutiert und der Kritik ent-
zogen. Indem die Nürnberger Truppen im Krieg gegen den Markgrafen in der
politischen Dichtung zur tapferen und entschlossenen Einheit stilisiert werden,
die ein M/nm ütsütm führt, lässt sich die moralische Überlegenheit gegenüber
dem Gegner demonstrieren. Und auch die scheinbar nur auf ästhetische Qua-
litäten zielende Landschaftsdarstellung im humanistischen Städtelob bei Celtis
und Eobanus ist explizit mit moralischen Implikationen verknüpft: Harmonie
bestimmt die sich dort zu %mor und zzondha versammelnden Flaneure und Spa-
ziergänger. Kein Zank oder Streit, erst recht kein Mord sei an diesen Orten
denkbar, so erklärt Celtis; kein Müßiggang, keine Unsittlichkeiten, kein feindli-
cher Hader oder gar tödlicher Zweikampf, so pflichtet ihm Eobanus bei A
Wird die Stadt als Ideal und Leitmodell präsentiert, das sowohl für die
Vergangenheit als auch für die Zukunft Gültigkeit beansprucht, so kann die
Strategie der Idealisierung als eine weitere Form der »Entzeitlichung« verstan-
den werden. Indem das Städtelob in seiner Darstellung ständig zwischen der
Ist-Beschreibung und dem normativen, überzeitlichen Leitbild oszilliert, ist es
als Ansporn zu lesen, die darin implizit begriffenen Forderungen stets neu zu
verwirklichen, das darin als erstrebenswert charakterisierte »Optimum« weiter
zu erhalten. Diese in den Texten fassbare Idealisierung ist damit als konserva-
tive Haltung zu verstehen, sie verfolgt das Erzählziel der Bestandssicherung
und BesitzstandswahrungA In Anlehnung an Schneiders Feststellung über
die Funktion der Ursprungsmythen lässt sich damit formulieren: Nicht nur

81 Vgl. KuGLER, 1986, S. 31: »Einer Stadt, wie sie ist, stellt der Text die Stadt, wie sie sein soll,
gegenüber. So verstanden, ist ein Städtelob immer beschreibend und normierend. Es liefert
nicht einfach Beschönigungen einer unzureichenden Stadtwirklichkeit, sondern es liefert ei-
nen Entwurf.«
82 Conrad Celtis, NoräwNrga, ed. WERMiNGHOFF, 1921, S. 135; Eobanus Hessus, LfzEs NorzNrgg
z'EtzsüzzEz, ed. VREDEFELD, 1990, S. 183-266, V. 432-446.
83 Insofern sind die Idealisierungen nicht als Utopie zu verstehen, die gemeinhin als Gegenent-
wurf zu den gesellschaftlichen Verhältnissen und als Anstoß ihrer Überwindung verstanden
 
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