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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0464

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4.3. Identitätspolitik versus Arkanpolitik

463

Auch der Inhalt der Werke legt nahe, dass die genannten Autoren (mehr
oder weniger ausgeprägt und offensichtlich) als »Lobbyisten« der Führungs-
schicht und der Ratspolitik gelten können. Bezeichnenderweise fühlten sich
auch mehrere unter ihnen bemüßigt, sich gegen den Vorwurf der Schmeiche-
lei zu wehren.^ Eine eigenständige oder gar kritische Artikulation städtischer
Vorstellungen in den mittleren oder niederen Schichten, wie sie etwa in der
Augsburger Historiographie zu greifen ist,^ ist in Nürnberg dagegen nicht
nachzuweisen. Unbefriedigend bleibt, dieses Phänomen allein mit der obrig-
keitlichen Zensur zu begründen, auch wenn an ihrer im 16. Jahrhundert immer
weiter gesteigerten Effizienz nicht zu zweifeln ist.
Ein mögliches Erklärungsmodell bieten die Thesen von Jan Assmann, nach
dem Kultur grundsätzlich als ein Oberschichtphänomen zu bezeichnen istA
Sie ist jedoch nicht als Elitekultur zu verstehen, der eine Volkskultur gegen-
übersteht, sondern als Kultur schlechthin, die lediglich von der Elite besser als
von der Menge beherrscht und verwirklicht wird. Dieser Teil - die Elite - be-
anspruchte damit Repräsentativität in Bezug auf das Ganze. Die von oder im
Namen des Patriziats verfassten Quellen sprechen also im Namen der ganzcfnj
Als Mittel, um die Idee der städtischen Einheit im Bewusstsein der
gesamten Stadtgesellschaft zu vergegenwärtigen, dienen nach außen beispiels-
weise die Beschwörung der gemeinsamen beziehungsweise des uafürUn-
dcsA' Nach innen lassen sich Bezugnahmen auf das »Gemeinwesen« oder den
»Gemeinnutz« beziehungsweise die die Gesamtbevölkerung umschließende
Formel »arm und reich« anführenA Plakative Demonstration für das Prinzip
der Egalität ist etwa das Sandsteinrelief, das Adam Kraft 1497 für die Nürn-
berger Stadtwaage schuf: Während der Kaufmann schon nach dem Geldsack
greift, beobachtet der Waagmeister das ausschlagende Zünglein. Er handelt
nach der Inschrift hinter seinem Kopf: Dü a/s ein - jeder werde gleich
behandelt, so wird dies eindringlich auch in der Lobrede auf die städtische
Handels- und Gewerbeverfassung von Kunz Has oder aber in Hans Lebenters
Reimrede auf die Nürnberger Strafgerichtsbarkeit statuiert.

86 So etwa Sigmund Meisterlin, NLrcwNrgeMsis crom'o?, ed. CDS 3, VI, S. 113, oder Helius Eoba-
nus Hessus, Lüüs Noriivrga iNMsfnda, ed. VREDEFELD, 1990, S. 183-266, V. 57-68.
87 In der Augsburger Chronistik lassen sich sowohl scharfe Äußerungen gegen den königlichen
Stadtherrn als auch kritische Bemerkungen über die inneren Verhältnisse finden, vgl. dazu
knapp Kap. 3.2.2. und WEBER, 1984, S. 32-45, bes. S. 33, 39,42.
88 Vgl. AssMANN, 2002, S. 149.
89 Lil. 2, Nr. 223, Str. 10, V. 3, und Str. 22, V. 1; s. auch die Formulierung gemein uon Mumhcrg im
Titel des Liedes Lil. 2, Nr. 226.
90 Die Bezeichnung unfferinndf für die Stadt findet sich etwa bei Scheurl, vgl. dazu oben Kap.
2.2.3. mit Anm. 386, oder in Meisterlins deutscher Fassung der MeronNrgensis eroniea, ed.
CDS 3, VI, S. 34. Den Begriff der pafria in demselben Sinn benutzt etwa Conrad Celtis, Norim-
Nrgn, ed. WERMiNGHOFF, 1921, S. 192f.
91 Lil. 2, Nr. 225, Str. 45, V. 1-5; Lil. 2, Nr. 223, Str. 17, V. lf.
92 Relief von der ehemaligen Stadtwaage, heute im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg,
für eine Abbildung vgl. PFEIFFER, ScHWEMMER, 1970, Nr. 246. Für theoretische Überlegungen
zum Begriff und zu Konzepten des »Gemeinwohls« vgl. ÜERFRiED MÜNKLER und HARALD
BLUHM, Einleitung, in: Gemeinwohl und Gemeinsinn zwischen Normativität und Faktizität,
hg. von DENS., Berlin 2002, S. 9-18.
 
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