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Müller, Franz Hubert
Die St. Catharinenkirche zu Oppenheim: Ein Denkmal teutscher Kirchenbaukunst aus dem 13. Jahrhundert. Geometrisch und perspectivisch dargestellt und mit einem erläuterndem Texte versehen. Mit 24 Kupferplatten Imperialfolio ([Hauptbd.]) — Darmstadt, 1836

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https://doi.org/10.11588/diglit.18725#0010

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entwickelt, theils aber auch in Laulnverk und Blumen der Natur geschmackvoll nachge-
bildet, ist immer an der passenden Stelle angebracht und wechselt nach Erforderniss leicht
ab. Aber auch ohne denselben haben die Massen ein schlankes, nach oben strebendes
Ansehen; wobei jedoch Leichtigkeit und Festigkeit zugleich berücksichtigt ist. Ja, wir
können die Denkmale dieser Art als das Resultat eines Strebens betrachten, welches von
den ersten christlichen Jahrhunderten an, vorzügliche Männer beseelte, denn im teutschen
Baustyle erreichte die christliche Kirchenbaukunst den höchsten Punkt ihrer Ausbildung.

In dieser Hinsicht rauss es allerdings dem Geschichtsforscher und dem Künstler gleich
wichtig sein, eine richtige Anschauung von dem Geiste des teutschen Baustyls zu erlangen.
Wenigen ist es indess, bei so mannigfaltigen Lebensverhältnissen und in zu grosser
Entfernung von vorzüglichen Bauwerken, möglich, sich davon, durch genaue Nach-
messungen und bis in die kleinsten Theile zergliederte Aufnahmen, die gehörige Kenntniss
zu verschaffen. Ein Werk teutscher Art und Kunst aber darf, in Erwägung seines
ursprünglichen Zweckes und seiner symbolischen Bedeutung, durchaus nicht oberflächlich
betrachtet werden5 denn nicht ohne vorhergegangenes, aufmerksames Studium ergründet
man eine solche Schöpfung. Daher denn auch so manche ungründliche, missverstandene
Urtheile darüber entstanden sind. *J Diesem zu E'olge glaube icli durch die geometrische
und perspectivisclie Darstellung der St. Katharinen-Kirche zu Oppenheim einen für die
Geschichte der teutschen Baukunst nicht unwichtigen Beitrag zu liefern und so eine
mehrjährige Arbeit nicht zwecklos verwendet zu haben.

Der Bau dieser Kirche wurde im Jahre 1262, in der unruhigen Zeit angefangen,
als die »reistlichen Churfürsten den englischen Grafen Richard von Cornwallis zum Könüre

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der Teutschen erwählt hatten, der auch, wie ich weiter unten in der Geschichte der auf
diese Kirche Bezug habenden Zeitereignisse näher erwähnen werde, vermuthlich thätigen
Antheil an der Beförderung dieses, einem geheiligten Zwecke geweihten, Baues nahm.
Der Kölner Dom-Bau hatte indess bereits im Jahre 1248, also um 14 Jahre früher
begonnen und beide Werke sind in der Grundidee sowohl, als in der Ausführung bis in

*) Es ist nicht zu verkennen, dass keine Kirche im neueren Style, so scliön sie auch ist, so hohe, heilige
Empfindungen zu erregen vermag, als ein altteutscher Dom. Man bewundert ihre Grösse und Schönheit,
und dadurch den Künstler und seine Geschicklichkeit, aber das Gemüth bleibt ungerührt, das sich bei
altteutschen Kirchen mächtig erhoben und durchdrungen fühlt, ohne an dem Aeusseren zu hängen, ohne
zunächst den Künstler in Betracht zu ziehen, der hier, gleich einer Gottheit, ungesehen wirkt. Jedoch
nicht eine jede willkührliche Zusammensetzung gothischer Formen ist für wahren teutschen Styl zu achten.
Man muis ihn ganz fassen können, den religiösen Sinn unserer Altvordern, aus dem ihre Kunst aus-
ging, man muss es verstehen, in den Geist der teutschen Kunst einzudringen, sich zu der Höhe der
Phantasie und Dichtung emporzuschwingen, die jene Werke schuf, um den Formen Bedeutung zu geben.
Ohne dieses werden !eere Formen aufgestellt. (Siehe Stieglitz von altteutscher Baukunst. Ueber-
sicht S. 12.)
 
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