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Müller, Franz Hubert
Die St. Catharinenkirche zu Oppenheim: Ein Denkmal teutscher Kirchenbaukunst aus dem 13. Jahrhundert. Geometrisch und perspectivisch dargestellt und mit einem erläuterndem Texte versehen. Mit 24 Kupferplatten Imperialfolio ([Hauptbd.]) — Darmstadt, 1836

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https://doi.org/10.11588/diglit.18725#0076

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Seitenchören im Verhältnisse zur Breite der Strebepfeiler leicht ergänzt werden. Die
Seitenchöre haben genau die Höhe der Abseiten des Langhauses; übrigens sind sie
auch von Aussen in allen Theilen genau im Verhältnisse mit dem Hauptchore, nach der
bereits beim Grundrisse erwähnten Dicke der Grundmauern.

Die Sakristei steht mit der oberen Linie des Dachsimses in der Höhe vom Fenster-
oder Kaffsims, so dass auch hierbei keine störende Ungleichheit entsteht. Der Dachsims
aber musste ergänzend darauf gesetzt werden, sowie auch das Spitzsäulchen, weil beides,
und auch der Strebepfeiler, bis auf den Sockel, welcher noch steht, bei einer dem An-
scheine nach im 15. Jahrhundert ohne alle Berücksichtigung vorgenommenen Vergrösse-
rung der Sakristei, völlig verschwunden ist. Die Fenster der Sakristei sind enge und
waren gegen das Einsteigen von Aussen durch ein eisernes Gitter verwahrt.

Nachdem wir nun das Gebäude von allen Seiten, Aussen und Innen, so ziemlich
kennen gelernt haben, möglen hier noch einige Gedanken über die mögliche Anwend-
barkeit des teutschen Baustyles wohl an der passenden Stelle sein.

Dieser Styl leidet wegen seiner grossen Consequenz schlechterdings keine will-
kürliche Modificationen und fremdartige Zusätze. Als ein organisches Ganze, nach einem
reinen Princip durchgeführt, muss nach teutscher Bauart jeder, noch so kleine Bau, so
verschiedenartig auch immerhin seine Bestimmung sein mag, erscheinen. Nicht irgend
ein, aus dem Zusammenhange eines grossen Ganzen abgerissener Theil, kann willkürlich
an einem anderen Gebäude angewendet werden. Aus dem Zwecke muss die Form
hervorgehn, und dann in allen ihren Theilen in Uebereinstimmung gebracht werden.
Eine blose Thüre teutscher Bauart (man denkt sich darunter gewöhnlich eine mit dem
Spitzbogen} an einem modernen Gebäude angebracht, würde mit Recht um so unpassender
gefunden werden, als ihre Forin selbst nach den besseren Vorbildern des teutschen Styles
jeder zweckgemässen Modification fähig ist. (Man vergleiche in dieser Hinsicht die
Thüren an unserer Kirche.} Auch würde der ArChitect durch eine einseitige Anwendung
ähnlicher einzelner Stücke das Bekenntniss ablegen, wie wenig er in den wahren Geist
der teutschen Baukunst eingedrungen sei. Eben solche Missgriffe geschehen aber auch
noch mitunter durch die falsche Anwendung griechischer und römischer Baufragmente,
wovon oft an unsere Gebäude völlig unwesentliche Stücke angehängt werden. Der
denkende, von einem freien Genius geleitete Künstler, steht jedoch jederzeit erhaben
über solche Irrthümer, und wird nie, wie irgend ein untergeordneter Handwerker, um
sich Kunden zu erhalten, der herrschenden Mode unbedingt folgen. Er wird zu prüfen
und zu unterscheiden wissen, und Beweise davon ablegen, dass er mit unermüdetem
Studium, alle Tiefen der teutschen Kunst durchdrungen habe. *) So haben auch die

*) Unsere teutsche Malerei hat, wie mir dünkt, Lei ihrem letzten Umschwünge am meisten durch Beachtung
der Motive gewonnen, und der Ernst, die Würde und innere Wahrheit des Styls, die sie in den Werken
 
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