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Münchener Punsch: humoristisches Originalblatt — 4.1851

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https://doi.org/10.11588/diglit.21527#0154

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L46

Wer von der edlen Gartenknnst noch was anderes versteht, als das
Umwühlen, der weiß, daß man keine zarte Pflanze aus dein Tr eibhaus in's
Freie versetzen soll, bevor nicht die drei^iri: Pankrazi. Servazi und Boni-
fazi vorüber sind.

So sehr ich haß' die Bauernflegel,

So hoch acht' ich die Bauernregel,

und obige Vorschrift beruht auf guten Gründen, dieweilcn vor Verfluß der
3 oftmals noch Frost und Reif oder gar Schneegestöber einfällt, und
die zarten Pflanzen vernichtet. — Gerade so ist's in der Politik. Es gibt
gewiffe Kabinetstreibhauspflänzchen, die in eineni kleinen Topf voll Rechts-
boden gesetzt, mit historischen Gründen begoffen und in einer von Unter-
handlungen erwärmten Temperatur aufgezogen werden. Nnr bisweilen
kann man sie der äuffern Sonne dec Reaktion, die da aufgeht über Gute
und Böse, aussetzen, wenn dieselbe gerade in einer polizeilichen Mittags-
höhe steht. Ganz in die Oeffentlichkeit aber kann die Pflanze erst dann
versetzt werden, wenn der Pankrazi vorüber ist.

Und wann fällt dieser? Am llten Mai!

Die Eröffnung des BundestagS ist also der erste nnd Haupt-Lni der
politischen Gartenkunst. Jst dieser vorüber, dann kann man sich unbedenk-
lich selbst mit erotischenPsianzen hervorwagen. Es ist freilich ein großer
Unterschied zwischen der heimlichen Temperatnr eines Kabinets-Tr«ibhauses
und dem kalten Boden der öffentlichen Meinung, aber nach Pängrazi ist
der Abstand nicht mehr so fühlbar. — Die allgemeine deutsche Preßauf-
fichtsbehörde, die Beseitigung der Geschwornen ia politicis, die allge-
meine deutsche Sicherheitsbehörde, lauter politisch-botanische Raritäten, die
nach Schwarzenberg, dem diplornatischen Linns, zur monarchischsn „O rd-
nung" gehören, können vor dem 11. Mai noch nicht an die frcie Luft
gebracht werden, während z. B. die Ablcgung der deutschen Cokarden
nicht so empfindlicher Natur war.

Nun, liebe Zuhörer, nehmet noch einmal den Kalenderl Man eröffnet
den Bundestag nicht nur paffend am3ui,iints und bedeutsam am Pankrazi
— sehet auch, welch ein Evangelium man an jenem Tage liest:

„Acbcr cin Llcincs wcrdct Ihr mich wicdcr sehen!"

Könnte sich alles beffer schicken? Könnten paffendere Dinge zusammen-
kommen? — Ja, als im Jahre 1848 dem Bundestag bang wurde vor
den kommendcn Leiden, da sagte er zu seiiien Jüngern: „Eine kleine
Weile, und ihr werdet mich nicht mehr sehen". Nnd so war es auch,
und schmerzlich war diese Zeit. „Und wieder eine kleine Weile,
und ihr werdet mich abermals seh en". — O wie schön trifft
dieses Wort ein: die kleine Weile, von 1848 bis 1851 ist vorüber, wir
sehen ihn wieder, und er wird unter unS bleiben bis zum großen Welt-
gericht!
 
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