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Münchener Punsch: humoristisches Originalblatt — 4.1851

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https://doi.org/10.11588/diglit.21527#0250

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S34

ond wie sich das Schachspiel taglich in tausend Variationen wiederhohlt,
so bietet auch das Leben in solchen Weltstädten täglich neue Züge, von
verschiedenen Beobachtern wieder verschieden aufgefaßt.

Paris ist eine Stadt der Contraste. Welche blendende EtabliffementS
auf den Boulevards, im Palais Royal u. s. f. Alles Krystall, Gold,
Marmor und Alabaßer; lauter Kron- und Armleuchter, Palmen, Säulen,
Genien; Auslagen von orientalischem Lurus, Schmuck, Services, Ge-
mälde, Schnitzarbeiten, Putz; lauter Nestaurationen mit Sammt-Divans
nnd Marmortlschen, mit den seltensten, theuersten Speisen, den köstlichsten
Getränken. An allen Ecken und Wänden verkünden Anschlagzettel, deren
Lettern als Gardegrenadiere eintreten könnten, Bälle, Luftfahrten und
Spektakel. — Nun durcheilen wir geschwind die lange kue 8t. ^rartiu
oder 8t. Vevis und begeben uns in die an der Seine liegenden Stadt-
theile, durch diese engen, gekrümmten Straßen mit himmelhohen, aschgrauen
Häusern, deren altersschwache Wände sich in schiefen Richtungen anein-
ander lehnen; oder über eine Brücke auf die uralte Jnselstadt, die Oite,
ans deren rauchigen Giebeln die finstere Kirche ölotre vrrme wie ein altes
Ungeheuer hervorragt. Und dann die QuasimodoS zu den Füffen von
Vkotrs vnme! Da kauern sie in den Erdgeschoffen, und trinken einen
blauen Wein, deffen Anblick schon einen Riß durch die Gedärme gibt.
Oder sie mühen sich für ein paar Sous ab in dunklen Werkstätten, und mögen
es nur an ihrer Erschöpfung merken, wann der Tag zu Ende geht; denn
der Sonnenlauf ist in jenen Winkeln nicht so schön zu beobachten, wie in
dem herrlichen Versailles, wo Louis XVI. in seinem Salon eigenhändig
eknen Meridian anlegte. Andere lehnen, das Pfeifchen mit dem von den
Eknsammlern der Cigarrenreste bereiteten Tabak im Munde, an der Mauer,
oder gehen Arm in Arm mit furienartigen Gestalten, wahrenFischweibern
ans der ersten Revolution, spatzieren; und doch ist diesen Sansküloten eine
gewiffe Grazie nicht abzusprechen. Die Grazie bleibt in Frankreich unter
allen Negierungsformen proprietS ontLonrrle. — Auch die Bourgeois
jener Quartiere haben ein düsteres, trotziges Aussehen, und der Charakter
Von 1789 läßt stch nicht vertilgen, der Munizipalrath müßte denn halb
Paris einreiffen, neu aufbauen und zugleich die alten Bewohner so ver-
sorgen laffen, daß fie als Jakobiner in Vlaeehandschuhen auftreten könnten.

Da steht, unweit von Notr6 Vamo, an der Seine, auch ein kleines
Haus, an deffen Pforten sich fortwährend Leute aus- und einvrängen.
Man tritt in ein mit Steinen gepflasterteS Flötz, zur Rechten eine dunkel-
sarbene Thür mit der Aufschrift: 6rrE6 (Schreiberei), links eine Glas-
wand, durch welche die Neugierigen unter den lebhaftesten Gesprächen in
em Zimmer sehen, das sein Licht von oben empfängt. Es ist dieß auch
eine kleine Ausstellung — aber keine Ausstellung der Künste des Frieden-,
der frohen menschlichen Thätigkeit, sondern eine Ausstellung des Unglücks,
der Verzweiflung. Das Haus heißt die LLorAu^, in welcher alle Leichen,
 
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