Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. i8.

Münchner kunsttechnische Biätter.

85

des Rubens allgemein verwendetes Malmittel nach
und nach ausser Gebrauch gekommen ist, ebenso
mag es wohl auch mit dem Spiköl und dem
Steinöl der Fall sein, die durch andere, zeitge-
mässere ersetzt wurden, so dass es verständlich
ist, dass die Technik der „alten niederländischen
Meister" immer von neuem „wiedergefunden"
werden musste. Die Bemühungen, die verlorene
Tradition zu suchen, haben auch während des
19. Jahrhunderts nicht ausgesetzt.
Wollte man dem Gebrauch der Malmittel auch
ein noch so grosses Gewicht beilegen, so ist
darin doch nicht allein das „Geheimnis der alten
Malertechnik" zu suchen, die eigentliche Ursache
des Erfolges ist in der Art und Weise ge-
legen, wie die Niederländer diese Mittel
für ihre künstlerischen Zwecke auszu-
nutzen verstanden und zu solcher Vollendung
gebracht haben, dass ihre Werke zu allen Zeiten
als Höhepunkt technischen Könnens angesehen
werden müssen.
Jede Zeit schafft sich die Technik, die den
immer neuen künstlerischen Problemen entspricht,
und ebensowenig als wir mit unserem heutigen
Oelmaterial die Effekte der Rubens-Zeit erzielen
könnten, so Hessen sich mit der dünnflüssigen
Oeltechnik des I/. Jahrhunderts die heutigen, auf
grelle Licht- und Luftwirkung ausgehenden Effekte,
die „Impressionen" der Realisten, der Luministen,
Divisionisten usw. erreichen. Die stets vorwärts
stürmende Zeit fordert aber ihr Recht, und nie-
mand ist imstande, sie auizuhalten. Wer aber
auf die Ausdrucksmittel der alten Maler zurück-
greifen will, oder wer sich mit Kopieren und
Restaurieren alter Malerei beschäftigt, der wird
sich an die Anweisungen unserer Voreltern halten
müssen.
Farbentüchtigkeit und Farbenblindheit.
Von Prof. Dr. O. Lummer, Breslau.
(Schluss.)
Ist es da zu verwundern, wenn sich die Sehnsucht
zur Wirklichkeit geltend machte und wir beim Nahen
eines Dorfes laute Juchzer zur Erde hinabsandten? Und
war auch oft nur laut kläffendes Hundegebell das Echo
unseres „Hallos", so war es doch ein sicheres Zeichen,
wirklichem Leben nahezusein. Einmal sollten wir
glücklicherweise gründlich unserem Träumen und unseren
Traumgespinsten entrissen werden. Trotz früher Mor-
genstunde (etwa 2 Uhr) mochten einige Bewohner eines
in der Fahrtrichtung liegenden Dorfes wohl ebenfalls
Studien über das „Sehen im Dunkeln" angestellt haben,
genug, unser Riesen-Nachtvogel war schon von weitem
bemerkt worden. Als wir dem Dorf näher kamen, er-
tönte „liebliche" Musik an unsere empfänglichen Ohren,
und die Dorfkapelle gab uns mit der ganzen Tanzgesell-
schaft ein grosses Stück unseres Weges fröhliches Geleit,
wofür wir durch Juchzer dankend quittierten.
Um so krasser wirkte der Kontrast, als wir kurz darauf
wieder einsam über düstere Wälder flogen. Fast schreck-
haft klang der plötzliche Angstschrei eines aufge-
scheuchten, Nachtvogels, dem von neuem absolute
Totenstille ringsumher folgte. Wie eine Art Erlösung

wurde daher die anbrechende Morgendämmerung be-
grüsst und mit ihr die in farbenfroher Stimmung
erwachende Natur. So dankbar wir der Stäbchen ge-
denken, der treuen Wegweiser in dunkler Nacht, um
so grössere Dankbarkeit und Bewunderung zollen wir
den farbenfreudigen Zapfen, die den Zauber der Far-
ben in die Landschaft tragen und uns ein getreues
Abbild der Objekte liefern.
Obwohl ich mich schon lange mit dem Sehen im
Hellen und Dunklen beschäftige, wenn auch nur im
„Nebenfach", so sollte mir doch erst im letzten Herbst
zum Bewusstsein kommen, dass wir auch in sternenklarer
Nacht Stäbchenseher sind, und die Erkenntnis
kommen, dass das an den Sternen bewunderte magische
„Sternenlicht" im wesentlichen stäbchenweisse
Empündnng ist. Wohl hätte man schon nach dem Aus-
sehen der Sterne mit ihrem allen Sternen eigentümlichen
„silbernen", undefinierbaren Glanz schliessen müssen,
dass man es hier mit Stäbchenbeobachtung zu tun hat,
aber gerade die nächstliegenden und interessantesten
Folgerungen einer Theorie verdanken ihre Aufdeckung
meist empirischen Zufällen.
Beschäftigt mit der Niederschrift des bisher ge-
gebenen Materials verliess ich in Flinsberg(Isergebirge)
spät abends meine Pension, um in klarer Sternennacht
jene bei Mondenschein gemachten Beobachtungen einer
Prüfung zu unterziehen. Denn eine Grossstadt mit ihrer
künstlichen Lichtfülle und ihrem hellen Widerschein
eignet sich schlecht, um sich im „Dunkelsehen" zu üben
oder Studien über das Aussehen der Sterne anzustellen.
Gerade Flinsberg mit dem freien Ausblick über das
ganze Himmelsgewölbe und mit seinen spärlich durch
Glühlampen beleuchteten Wegen erscheint wie dazu
geschaffen, um die Theorie des Sehens im Hellen und
und Dunklen in klarer Sternennacht zu prüfen.
Sobald ich aus dem hellerleuchteten Esssaal ins Freie
trat, umfing mich trotz des Sternenlichtes und der röt-
lich leuchtenden „Laternen" anfangs dunkle Nacht, so
dass ich weder Weg noch Steg in dem vor mir sich
ausbreitenden Park erkennen konnte. Ich warte und
taste mich mit dem Stock vorwärts, den Stäbchen Zeit
lassend, für ihren Lichtberuf sich vorzubereiten. Was
ich vorläufig sehe, sind nur die hier und da rot-
blinkenden Glühlampen der Strassenbeleuchtung und
die roterleuchteten Fenster einiger Villen, deren Insas-
sen noch nicht zur Ruhe gegangen sind. Auch am
Sternenhimmel beobachte ich nichts Besonderes, höch-
stens mich erfreuend an dem durch Erfahrung gewohnten
„silbernen" Sternenglanz.
Aber bald ändert sich das Bild, und zu meiner
grossen Freude merke ich, dass ich mich mitten in
einer „Stäbchenlandschaft" befinde. Mit der Zeit sind die
Stäbchen zu ihrer vollen Leistungsfähigkeit erwacht
und damit das Dunkel der Nacht auf einmal wie fortge-
zaubert: Der Weg hebt sich jetzt deutlich vom dunk-
leren Rasen ab, und ohne Hilfe des Stockes kann ich
des Weges ziehn, alles um mich herum deutlich erken-
nend. Noch fällt es mir nicht auf, dass der Himmel
jetzt sehr viel mehr Sterne zeigt als beim Hinaus-
treten in die Landschaft aus dem hellen Zimmer, ein
Zeichen, dass ich die Ursache dieser Erscheinung noch
nicht erkannt hatte. Denn erst, wenn man weiss, was
man beobachten soll, beobachtet man es und wundert
sich, dass man es vorher gar nicht bemerkt hat.
Was ich wusste, war, dass beim Stäbchensehen
im Dunkeln alle direkt betrachteten (fixierten) rot-
leuchtenden Lichtquellen bei indirekter Beobachtung
stäbchenweiss erscheinen müssen, dass bei Aus-
schluss der Zapfen die Landschaft,, Grau in Grau" und farb-
los gesehen werden muss, und dass dann lichtschwache
Objekte das neckische Spiel des „Gespenstersehens"
zeigen müssen.
Alle diese Folgerungen Hessen sich geradezu glän-
zend beobachten. Die erleuchteten Fenster und die
 
Annotationen