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Grothe, Hugo [Bearb.]
Orientalisches Archiv: illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kulturgeschichte u. Völkerkunde der Länder des Ostens — 3.1912/​1913

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Grothe, Hugo: Ein Perserteppich aus Kermān
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https://doi.org/10.11588/diglit.69722#0127

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gefertigt sei. Ist diese Datierung auch eine etwas
zu frühe, so dürfte mit dem Anfang des 19. Jahr-
hunderts immerhin als Zeit der Knüpfung gerechnet
werden können. Die außergewöhnlichen Ab-
messungen, 41/2 zu 23/4 m, sowie die eigenartige
Darstellung legen die Vermutung nahe, daß der
Teppich auf besondere Bestellung hin gearbeitet
wurde.
Daß von reichen und vornehmen Persern
irgend ein ihre literarischen Neigungen oder
wissenschaftlichen Studien beschäftigender Gegen-
stand zur Darstellung in Auftrag gegeben wird,
davon sind mir mehrere Beispiele bekannt. So
sah ich in Teheran im Hause eines früheren
Gouverneurs von Kerman einen in der Kerman-
gegend gefertigten Teppich, auf dem ein höchst
sonderbares Sujet abgebildet war. In der Mitte
des großen rechteckigen Feldes stand der Baum
des Paradieses. Am Ende der einzelnen großen
und kleinen Zweige hingen birnenartige Köpfe
mit einer volkstypenartigen Individualisierung. Der
betreffende Perser, der in seinen Mußestunden
Geschichte und Anthropologie studierte — mit
der dem Perser von üblicher Halbbildung eigenen
Naivität — hatte die Idee gehabt, die Zusammen-
hänge der Rassen, als von der großen Menschen-
wurzel Adam ausgehend, zur Darstellung bringen
zu lassen.
Die Längsfäden unseres vortrefflich erhaltenen
Teppichs sind aus Baumwolle, die dichten Knoten
aus feinster Wolle. Die Farbenkomposition ist
äußerst harmonisch. Von dem mattrosa Unter-
gründe heben sich die einzelnen mit großer
Feinheit gezeichneten Gegenstände plastisch ab.
Überaus wirkungsvoll sind die vorwiegend sepia-
braunen Töne des Turms, der dunkel gehaltenen
Stellen rechts desselben, ferner der Bäume, sowie
auch des linksseitigen Pferdes. Besonders inter-
essant ist die Enten- (blaugrüne Körper mit tief-
roten Flügeln) und Kaninchen-Bordüre, deren ein-
fassende Streifen einen burgunderroten Grund auf-
weisen.
Die Darstellung gibt eine Szene aus dem in
der persischen Literatur nicht weniger als 22 mal
bearbeitetem Epos Chossrou und Schirin wieder,
das die Liebe des Königs Chossrou II Parwis
(591 — 628) zur Schirin verherrlicht. Auf vier
Felder sind einige Verse des 14. Jahrhunderts zu
Schiras lebenden Scherns ed din Mohammed el

Ein Perserteppich aus Kerman.

Hafis aus seiner lyrischen Behandlung des Epos
verteilt. Dieselben lauten wie folgt:


Jn ( «X-.-A »^s^uoFeld 3
Spiegel-^ _ v .
schrift l T1-
„ i
ßähräm doulät-e bi-dar be bälin amäd
goft bär chis, ke on choßröu-e schirfn ämäd
qädhi där-käsch wä ßär-chösch be-tämascha
be-cheram
ta be-bini ke negaräm betsche ajfn amäd
Feld 3: Beim Morgengrauen trat das wache Glück
an mein Kopfkissen,
„ 4: Sprach: Steh’ auf, denn Chossrou e Schirin
ist gekommen,
„ 2: Trink’ einen Becher aus und komm’ trunken
zu schauen,
„ 1: In welcher Pracht Dein Geliebter er-
schienen ist.
Der Ausdruck Chossrou e Schirin enthält ein
Wortspiel und kann sowohl „Der Chossrou der
Schirin“ (der die Dame namens Schirin verehrt)
als auch „Der süße Chossru“ (da „schirin“ gleich-
zeitig süß bedeutet) übersetzt werden.
Bemerkenswert ist, daß die Felder 3 und 4
in Spiegelschrift geknüpft sind, ein Vorkommnis,
das man bei persischen Teppichen, die in Paaren
gefertigt wurden, häufig zu beobachten Gelegen-
heit hat. Es hängt dieses wahrscheinlich mit der
Art des Knotendiktierens zusammen. Es erscheint
auffallend, daß richtige Schrift und Spiegelschrift
auf diesem Teppich vereinigt sind. Es wäre nicht
unmöglich, daß es einen zweiten Teppich der
gleichen Art gibt, für den allerdings die uns be-
kannten Sammlungen und die einschlägige Lite-
ratur keinen Anhalt bieten. In diesem sind dann
Feld 3 und 4 in richtiger Schrift und Feld 1 und 2
in Spiegelschrift gehalten.

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