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Grothe, Hugo [Bearb.]
Orientalisches Archiv: illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kulturgeschichte u. Völkerkunde der Länder des Ostens — 3.1912/​1913

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Kleine Mitteilungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.69722#0280

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Kleine Mitteilungen.

Vermischtes.
Brahmanen in Siam. Die Beschreibung, die Craw-
ford in seinem 1828 veröffentlichten Buche in seiner Mission
in Siam über die in Bangkok ansässigen Brahmanen gibt,
ist noch heute zutreffend. „Sie haben den Gebrauch ihrer
ursprünglichen Sprache verlernt; sie besitzen noch Schriften
in Sanskrit; ihre Gelehrsamkeit ist gering und sie leben
hauptsächlich von dem Ruhme ihrer astrologischen Wissen-
schaft. Die ursprünglichen Einwanderer kamen ohne ihre
Familien und heirateten die Frauen des Landes. Sie be-
haupteten, den ersten beiden Hindu-Kasten anzugehören,
und zwar der Sekte des Siva.“
Die in Bangkok jetzt ansässigen Brahmanen haben
vollständig eine Erinnerung an ihre Herkunft verloren,
doch geben sie in vager Weise an, daß sie ursprünglich
aus Süd-Indien gekommen und von dort nach Phathalung
und Ligor gezogen seien. Von hier aus kamen sie wäh-
rend der ersten Regierungsperiode nach Bangkok (um 1780).
Für ihre ursprüngliche Herkunft aus Süd-Indien spricht
auch die Schrift, die sie benutzen, das „Grantha“, das
südindischen Charakter zeigt. Ob auch zu gleicher Zeit
andere Einwanderungen stattgefunden haben, was nicht
ausgeschlossen ist, ist den Bangkoker Brahmanen nicht
bekannt, und die gewöhnliche Antwort auf die Frage, wo-
her die übrigen im Lande ansässigen Leute brahmanischer
Herkunft gekommen sind, lautet, daß sie Abkömmlinge
der schon in Bangkok ansässigen Brahmanen seien, die in
erster Linie von der Malayischen Halbinsel eingewandert
sind, und die erst, wie schon erwähnt, mit der Verlegung
der Hauptstadt Siams nach Bangkok kamen. Diese Ant-
wort mag in gewisser Weise richtig sein, doch dürfen wir
nicht vergessen, daß wir heute noch Brahmanen dort
finden, wo sie auch schon in alter Zeit ansässig waren,
so in Lophburi, Ayuthia, Rajburi. Bekannt ist, daß die
Brahmanen am Hofe stets eine große Rolle spielten, wo
sie bei den Zeremonien zugegen waren und auch als
Astrologen (Hora) Bedeutung besaßen. Beweise dafür,
daß die Brahmanen in den obengenannten Städten in
früheren Zeiten ansässig waren, sind dadurch geliefert,
daß wir gerade dort Buddha-Bilder mit brahmanischer
Tendenz finden, so vor allem den Buddha durch den
Naga-König beschützt. Zu zeremoniellen Handlungen
befindet sich ein brahmanischer Tempel in Bangkok und
einer in Ligor. Die Bangkoker Götter-Bilder stammen
sämtlich aus sehr alter Zeit, wie schon Crawford berichtet,
und wie es auch aus der Geschichte hervorgeht. Ebenso
sind die Gerätschaften zu den Opferhandlungen alte, doch
wird wiederholentlich berichtet, daß als gern gesehenes
Geschenk brahmanische Gerätschaften, die aus Indien
kamen, von den Königen angenommen wurden.
Durch ihre Heiraten mit den in Siam ansässigen Frauen
haben die Brahmanen natürlich ihren Stamm nicht rein
erhalten, und eine Ahnenprobe dürfte daher keiner von
ihnen bestehen. Nur die Söhne werden als von brahma-

nischer Herkunft stammend betrachtet. Die Brahmanen
binden sich nicht an die rituellen Vorschriften, wenn sie
auch an Vorabenden von Festen in Speise und Trank
Abstinenz üben. Vom übrigen Volk unterscheiden sie sich
in der Art und Weise, wie sie ihr Lendentuch tragen und
auch in ihrer Haartracht, die übrigens in der jetzigen Art
erst unter dem König Mongkut (1853—1868) eingeführt wurde.
Sie tragen die brahmanische Schnur, doch diese beschränkt
sich nur auf drei oder sechs Strähne, und eine Zeremonie
für deren Anlegen scheint stattzufinden. Ehe aber die
Brahmanen in die Brahmanenschaft aufgenommen werden,
muß der Kandidat in der buddhistischen Priesterschaft
gewesen sein. Die offiziellen Funktionen und die Titel
der Brahmanen werden im alten Gesetz genau definiert,
ebenso ihre Privilegien, die u. a. darin bestanden, daß die
Todesstrafe in Kriminalfällen gegen sie nicht vollstreckt
werden konnte, sondern statt dessen auf Verbannung er-
kannt werden mußte. Ebenso genossen sie auch bei der
Abfassung ihrer Testamente bestimmte Vergünstigungen.
Doch alle diese Privilegien sind natürlich obsolet geworden,
während die offiziellen Titel noch heute gültig sind, die
die Brahmanen bei den Zeremonien, bei denen sie funk-
tionieren, tragen.
In alter Zeit fanden in jedem Monat Festlichkeiten
statt, bei denen die Brahmanen funktionierten, und alle
diese Festlichkeiten sind in dem Palast-Gesetz (Kothmai
mandirabala) aufgeführt. Die Zahl ist jetzt nur auf wenige
beschränkt, von denen vor allen Dingen Erwähnung ver-
dient das Ackerbaufest, das zu Beginn der Saatzeit (im
April/Mai, Lunar-Rechnung) stattfindet und vor dessen
Beginn nach jetzt obsoletem Gebrauch die Felder vom
Volke nicht bestellt werden durften. Auch bei diesem Fest
funktionieren brahmanische und buddhistische Priester in
Gemeinschaft, und das Buddha-Bild des Gandhara Raja,
das als Symbol für Regen betrachtet wird, wird in Prozession
getragen. Ferner das Trayam Pavay-Fest im Dezember/Ja-
nuar als Erinnerung an den Besuch des Siva auf Erden,
das wie alle Feste eingeleitet wird durch das Ceremonial
des Pöt patu Sivalai (das Öffnen des Siva-Tempels). Im
Zusammenhang mit dem Siva-Fest steht das Schwingfest,
über das wiederholt berichtet ist. Hier soll nur darauf
aufmerksam gemacht werden, daß bei allen brahmanischen
Zeremonien in Siam keine der aus Wollust und Grausam-
keit gemischten Zeremonien stattfindet, wie das z. B. vom
Schaukelfest in anderen Ländern berichtet wird, wo Nägel
in das bloße Fleisch der Asketen geschlagen werden, an
denen sie sich in der Schaukel schwingen. Eine andere
Zeremonie, an der die Brahmanen teilnehmen, ist das
zweimal im Jahre stattfindende Wassertrinken. Die dort
gebräuchlichen Waffen zur Eidesformel werden von den
Brahmanen geweiht. Bei dieser Zeremonie leisten die
königliche Familie, die Adligen und das Volk dem König
den Treueid. Mit der Zeremonie selbst, d. h. dem Ver-
lesen der Eidesformel, haben die Brahmanen nichts zu tun.
Beteiligt sind die Brahmanen ferner an allen häuslichen

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