Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0061

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
(Haviland 1988, 126 ff.). Dies ist am Beispiel von
ethnographisch untersuchten Siedlungen im Vorderen
Orient erkennbar (Kramer 1982, 117). Dabei ist jedoch
zu beachten, daß dieses Prinzip nur in Gesellschaften
mit patrilokaler, matrilokaler oder ambilokaler Wohn-
folge gültig ist, in denen die neuen Familien mit einer
der beiden Elternfamilien wohnen. Die Wohnräume der
neuen Kernfamilie liegen dann innerhalb oder in direk-
ter Nähe des Hauses der Eltern des Mannes bzw. der
Frau. In Gesellschaften mit neolokaler Wohnfolge, bei
denen ein verheiratetes Paar nicht mit der Familie der
Eltern wohnt, gründen Kernfamilien definitionsgemäß
Haushalte an einem neuen Ort (Haviland 1987, 220;
Murdock 1949, 16). Überwiegend neolokale Wohnfol-
gen konnte Murdock (ebenda 17) nur in 17 von 250
untersuchten Gesellschaften (- 6,8%) - darunter der
«westlichen», euro-amerikanischen Gesellschaft - fest-
stellen. Gesellschaften mit patrilokaler Residenz über-
wiegen (58,4%).

Wenn im archäologischen Fall die Wohnfolge einer
Gesellschaft nicht bekannt ist, können andere kulturelle
Merkmale Hinweise darauf geben. Durch die Anthro-
pologie und die Ethnologie entwickelte Grundlagen
besagen, daß Gesellschaften mit patrilokaler Residenz
meist dann zu erwarten sind, wenn die Rolle der
Männer für die Subsistenz dominiert, und besonders
dann, wenn zusätzlich Männer Besitz akkumulieren
können, Polygamie üblich, das Kriegswesen bedeut-
sam ist oder vorwiegend Männer Ämter mit politi-
scher Autorität ausüben (Haviland 1987, 220). Alter-
nativ ist zu klären, ob historische Quellen direkte Aus-
künfte über eine patrilokal oder abweichend organi-
sierte Wohnfolge der archäologisch untersuchten Gesell-
schaft geben.

In nicht-neolokal residierenden Gesellschaften ent-
scheiden - abgesehen von Sonderlösungen auf Grund
von Familienzwist oder wirtschaftlichen Zwängen -
normalerweise die Siedlungsform und bausubstanz-
bezogene Faktoren, ob der Wohnraum der neuen Kern-
familie (in dicht bebauten Siedlungen) innerhalb des
Elternhauses (vgl. Kramer 1982, 117) oder (in lose be-
bauten Siedlungen) neben dem Elternhaus (vgl. Ghirar-
delli 1985, 6) oder (wenn in dicht bebauten Siedlungen
innerhalb des Hauses oder neben dem Haus kein Wohn-
raum mehr verfügbar gemacht werden kann) an einer
Stelle in der Nähe des Elternhauses angelegt wird (vgl.
Ghirardelli 1985, 7).

Der Entwicklungszyklus eines Haushaltes bewirkt
Veränderungen der Architektur und der Aktivitätszonen
in einem Haus. Archäologisch kann dies durch den Ver-
gleich von Phasenplänen eines Hauses untersucht wer-
den (Stone 1981; 1987; Haviland 1988). Wenn wie in
den meisten Ausgrabungen nur der letzte Zustand eines
Hauses erfaßt wurde, ist nur ein sehr kurzer Ausschnitt
aus der Entwicklung eines Haushaltes erkennbar, der

Endzustand des Haushaltes in seiner Existenz an der be-
treffenden Stelle bzw. im betreffenden architektonischen
Rahmen.

Voraussetzung für eine diachronische Analyse ist,
daß ein Haus stratigraphisch vollständig, d. h. bis zu sei-
nem ältesten Zustand ausgegraben wurde (s. Kap. 6.1.).
Durch den Vergleich der Hauspläne, der Raumanord-
nung und der Raumerschließung in den einzelnen Pha-
sen eines Hauses sind Hinweise auf die Veränderung der
Haushaltszusammensetzung zu erhalten. Dazu sind die
methodischen Kriterien der sozialen Analyse (s. o.) dia-
chronisch, d. h. im Vergleich der Hausphasen anzuwen-
den. Unterschiedliche Funde oder variierend angeord-
nete Installationen in verschiedenen Phasen eines Hau-
ses geben Hinweise auf Veränderungen von Aktivitäts-
zonen. Für diese Frage sind die methodischen Prinzipien
der ökonomischen Analyse (s. o.) diachronisch anzu-
wenden.

Bei der diachronischen Analyse ist zu beachten, daß
bausubstanz-bezogene Voraussetzungen zu einer Dis-
krepanz zwischen den durch die soziale und wirtschaft-
liche Entwicklung nötig werdenden Veränderungen in
einem Haus und dem tatsächlichen Baubestand füh-
ren können. Zu bausubstanz-bezogenen Beschränkun-
gen gehören zum Beispiel der Zwang, auf vorhandene
Räume zurückgreifen zu müssen, oder unveränderbare
Grundstücksgrenzen (vgl. Kramer 1982, 119 ff.).

Konzept 6: Die symboliscbe Analyse

Neben den funktionalen Merkmalen eines Hauses, die
den ökologischen und technologischen Voraussetzungen
des Hausbaues Rechnung tragen und spezifische Lösun-
gen für ökonomische und soziale Anforderungen an
eine Wohnstätte sind, ist jedes Haus absichtlich oder
unbewußt mit einer Reihe symbolischer Merkmale aus-
gestattet. Die Symbole dienen als Mittel der nicht-ver-
balen Kommunikation zur Übermittlung von Informa-
tionen, zum Beispiel über den sozialen Status des Haus-
haltes oder einzelner Bewohner (McGuire - Schiffer
1983, 282), den Machtanspruch des Haushaltes (Don-
ley-Reid 1990, 124), die Abgrenzung der Privatsphäre
eines Haushaltes oder einzelner Bewohner (Sanders
1990, 49 f.), die Glaubensvorstellungen (Hodder 1987),
das Weltbild (Kus - Raharijaona 1990, 23), die geistig-
kulturelle Identität (Gauvin - Altman - Fahim 1983,
184) oder die ethnische Zugehörigkeit der Bewohner
(Hodder 1982b).

Symbole beruhen auf der Akzeptanz von kulturellen
Konventionen und dienen dazu, kulturelle Werte und
Verhaltensnormen in einem Haus zu etablieren (Sanders
1990, 47). Sie tragen auf diese Weise dazu bei, ein Haus
räumlich zu strukturieren. Durch Symbole können zum

35
 
Annotationen