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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0108

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haltenen Passionsschilderungen seines Vaters absetzen wollte,34 oder
bezeugt diese für das Werk Hans Holbeins d. J. ganz untypische Drastik
nun gerade den Umstand, daß die »Leinwand-Passion« nichts mit dem
spezifischen Ausdruckswollen unseres Künstlers zu tun hat und statt des-
sen das Werk eines lokalen Baseler Meisters, etwa des Hans Dyg, ist, wie
dies in der jüngeren Forschung wiederholt angenommen worden ist?35
Beide Lesarten sind grundsätzlich denkbar, denn externe Anhaltspunkte
helfen auch in diesem Fall nicht weiter - weder läßt sich die Zugehörig-
keit der »Leinwand-Passion« zu dem vielleicht von Dyg um 1516 für den
Lettner von St. Peter in Basel gelieferten Passionszyklus mit Sicherheit
erweisen, noch die Möglichkeit einer zeitweiligen Mitarbeit Hans Hol-
beins d. J. in der Werkstatt Dygs gänzlich ausschließen.36

Doch mit Blick auf die Frage, ob Jacob Meyer bei der Suche nach einem
geeigneten Porträtisten an den Maler der Heiligenköpfe oder der Pas-
sionsszenen gedacht haben kann, lohnt es, diese abschließend nochmals
mit dem Schulmeisterschild und dem Sündenfall zu vergleichen. Wäh-
rend die Gestaltung der beiden Heiligen höchst bieder und konventionell
ausgefallen ist, finden sich beim Abendmahl gleich mehrere Figuren, die
eigentlich aus gänzlich anderem Bild- und Sinnzusammenhang stam-
men und der Darstellung den unmißverständlichen Charakter eines
Pasticcio verleihen: Der Apostel am linken Bildrand ist offensichtlich von
der Figur des Heiligen Antonius Abbas in Grünewalds Darstellung des
Besuchs des Antonius bei dem Eremiten Paulus auf dem Isenheimer
Altar inspiriert,37 während der am rechten Tischende sitzende Jünger, der
seine Hände ringt und pathetisch gen Himmel blickt, in eng verwandter

Form wiederholt als Klagefigur im Grünewald-GSuvre vorkommt.38 Der
von links herantretende Apostel mit der Fruchtplatte schließlich ist im
Kontext einer Abendmahlsdarstellung gleichfalls deplaziert und dürfte
einer Kana- oder Emmaus-, wenn nicht einer gänzlich profanen Mahl-
szene entlehnt sein. Derartige Beispiele ließen sich vermehren. Dem-
gegenüber steht das Schulmeisterschild am Anfang einer gänzlich neuen
Bildgattung, des Genrebildes,39 und auch die Entscheidung, den Sünden-
fall als nahsichtig gegebenes Halbfigurenbild zu inszenieren, das selbst
die Hände der Figuren größtenteils fortläßt, stellt, wie wir gesehen haben,
eine präzedenzlose Neuerung dar. Beide Werke brillieren außerdem
durch die überlegene psychologische Durchdringung des jeweiligen
Bildgegenstandes.

Mehr als alle handschriftlichen oder stilistischen Erwägungen spre-
chen diese Unterschiede gegen die Zuschreibung der Heiligenköpfe oder
der Passionsszenen an den jungen Hans Holbein. Es scheint sich - mit
der möglichen Ausnahme der Geißelung - bei »H. Holbeins ersten arbei-
ten« doch eher um Werke von in Basel tätigen Malern zu handeln, die
sich vergleichsweise uninspiriert in den Konventionen der Malerei ihrer
Zeit bewegen40 und die Basilius Amerbach, der bekanntlich seit den
1570er Jahren weit über die Stadtgrenzen Basels hinaus seine Agenten
nach Werken Holbeins fahnden ließ, lediglich als solche untergeschoben
worden sind.41 Sie lassen jedenfalls genau jenes Maß an schöpferischer
Erfindungskraft und Gestaltungsfreude vermissen, das man bei Gemäl-
den, die Jacob Meyer veranlaßten, den 17jährigen Hans Holbein mit dem
Doppelbildnis von 1516 zu beauftragen, erwarten würde.

1 Die Entscheidung für dieses Vorgehen fiel um so leichter, als Bätschmann/Griener
1997 in ihrer Monographie auf eine chronologische Anordnung zugunsten einer Dar-
stellung des Holbein-Werks »nach Aufgaben« verzichtet haben.

: Von der Betrachtung von angeblichen Holbein-Frühwerken wie der Madonna mit Kind
von 1514 im Baseler Kunstmuseum kann hier gänzlich abgesehen werden, beruht deren
Zuschreibung an unseren Künstler doch auf nicht mehr als dem Wunsch, hierin einen
»Holbein« erkennen zu können. Tatsächlich läßt sich zeigen, daß dieses bescheidene
Bild von einem vermutlich in Konstanz tätigen Maler angefertigt worden ist; siehe
S. 348-350.

3 Inv. Nr. 310-311; siehe auch S.41,429f.

Dies ist der Text der Gesellenschule. Zum fast identischen Wortlaut des Textes der Gegen-
seite siehe S. 429f.

4 Inv. Nr. 313; zu dem Gemälde sowie dem Wasserzeichen des Papiers siehe S. 431.

5 Auf diesen Umstand wies erstmals Walter Überwasser, Hans Holbein d. J., Adam und
Eva, 1517; in: Alte Meister. Eine Sammlung von Reproduktionen alter Meisterwerke,
Basel/Zürich o. J. (1957), o. S., hin.

6 Diese Tatsache führte Mantz 1879, S. 27, sowie Treu in AK Die Malerfamilie Holbein
in Basel i960, S. 175, dazu, die Frage aufzuwerfen, ob das ungewöhnliche Bildformat
nicht die Folge einer nachträglichen Beschneidung der Komposition sei. Boerlin 1991,
18f, wies dies unter Hinweis auf (unpublizierte) Infrarot-Aufnahmen zurück, die klar
erkennen ließen, daß die Unterzeichnung auf das Format des als Bildträger verwendeten
Papiers Rücksicht nehme. Doch angesichts der Tatsache, daß sich das Wasserzeichen auf
Adams linker Wange befindet (besonders gut im Infrarot-Befund erkennbar), und mit
Blick auf die Kanten des Papier-Bildträgers erscheint es durchaus möglich, daß die Kom-
position zumindest leicht beschnitten ist. Hierfür spricht - neben der unglücklichen
Fragmentierung etwa von Adams rechtem Arm - auch die in der Unterzeichnung ange-
gebene Markierung der rechten Brust Evas, die allerdings unter der nachträglichen
schwarzen Einfassung verschwindet.

7 Reinhardt 1960b, S.27; ders. 1976, S.462; ders. 1978, S.212; C. Müller 1989, S.120f,
benannten mit Hans Baidung Griens Farbholzschnitt des Sündenfalls von 1511 (vgl.
Mende 1978, S.44, Kat.Nr. 19) ein konkretes Vorbild für den Baseler Sündenfall, beton-
ten aber zugleich dessen nachhaltige »psychologische Vertiefung«. Auch bei Baidung hält
Eva die Frucht, weist sie aber Adam vor und nicht dem Betrachter, den beide anblicken.
Zugleich umfaßt Adam lüstern die linke Brust seiner Gefährtin. In dieser Hinsicht sollte

Baidung in seinem Sündenfall-Holzschnitt von 1519 noch einen Schritt weitergehen:
Dort hält Eva zwar in jeder Hand einen Apfel, scheint die Früchte aber vor Adam ver-
stecken zu wollen. Der Stammvater macht sich unterdessen an Eva heran und scheint gar
den Blattzweig vor ihrer Scham beiseite schieben zu wollen (vgl. Mende 1978, S. 48,
Kat.Nr.73).

Zeise 1976, S. 10, wies außerdem auf Dürers Holzschnitt desselben Themas aus der »Klei-
nen Holzschnitt-Passion« von etwa 1510 hin, bei dem Eva Adam ähnlich ungelenk
umhalst wie der Stammvater die Baseler Eva (vgl. Strauss 1980, S. 112, Kat. Nr. 17 [117];
ders. 1981, S.259, Kat Nr. 1001.217 [B. 17 (119)]).

8 Überwasser i960, o. S.

9 Hierauf deutet vor allem die veränderte Augenstellung. In der Unterzeichnung hatte
Adam seine Gefährtin noch unmittelbar angeblickt; erst in der Farbausführung wurde
sein Blick in fast komisch wirkender Verzweiflung schräg nach oben gelenkt.

10 Es überrascht, wie unterschiedlich dennoch die - zeitabhängige und sicher auch vom
jeweiligen Frauenbild bedingte - Interpretation der Darstellung in der Literatur ausge-
fallen ist. So meinte etwa Stein 1929, S. 34-36: »Das Weib scheint für Holbein... sünde-
los, nur Denken und Sucht des Mannes macht sie zur Sünderin und den Mann zum
besessenen Schlucker.« Mit Blick auf dieselbe Figurenkonstellation deutete beispiels-
weise Ganz 1950, S. 200, das Verhältnis der beiden Figuren gänzlich anders: »Eva versucht
Adam«, so lautete sein Bildtitel.

11 Siehe S. 41.

11 Hess 1911, S. 20,86, 88f, 93.

13 Wüthrich 1969, S. 591; ders. 1969/72, S.777; ders. 1990, S.40, 204.

14 Siehe oben S. 84-87.

13 Schmid 1931a, S. 41-77.

15 Siehe die Zusammenfassung der Forschungsgeschichte bei C. Müller 1996, S. 50f. Die
beiden letzten ausführlichen Studien zu den Randzeichnungen von Michael 1986 und
C. Müller 1996, S. 50-66, Kat. Nr. 10-91, wiesen die Illustrationen mehrheitlich wieder
Hans Holbein d. ]. zu; nur eine kleine Gruppe von Zeichnungen wurde dessen Bruder
Ambrosius zugesprochen.

17 Siehe S. 88-93.

18 Siehe S.87f.

19 Siehe S.37f, 123-127, 432f.

20 Siehe S. 116-119, 459f.

104 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32
 
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