138 »1520s Hours Workshop«, Mai-Miniatur, Stundenbuch des Jean de Mauleon, Baltimore,
Walters Art Gallery, Ms. 449, fol. 6v
(Abb. 138), die ihrerseits in den Handschriften der anonymen ffanko-flä-
mischen Werkstatt des öfteren vorkommt.24
Tatsächlich läßt sich zeigen, daß Hans Holbein während seiner Frank-
reichreise 1523/24 mit Künstlern des »1520s Hours Workshop« in engen
Kontakt gekommen sein muß, denn die Rezeption ihrer Werke bleibt
nicht auf Holbeins Entwürfe für einzelne »Bilder des Todes« beschränkt,
wie die nähere Untersuchung der heute im Freiburger Münster verwahr-
ten Flügel des »Oberried-Altars« mit der Geburt Christi und der Anbe-
tung der Könige (Tafel 36-37) nachweisen wird. Daneben sollten aber
auch Werke des Mailänder Künstlers Andrea Solario, denen Holbein
ebenfalls in Frankreich begegnet sein muß, entscheidende Impulse für
sein Schaffen als Tafelmaler liefern. Hierfür sind die Baseler »Passions-
flügel« (Tafel 42) und die »Lais Corinthiaca« (Tafel 53) die Kronzeugen,
die im weiteren Verlauf dieses Kapitels aufgerufen werden sollen. Von den
genannten drei Arbeiten, die die unmittelbare Wirkung der Frankreich-
reise auf Holbeins Schaffen zeigen,25 ist nur die Lais inschriftlich auf das
Jahr 1526 datiert. Die beiden anderen Werke sind nicht nur bloß frag-
mentarisch erhalten; bei beiden hat die Forschung bisher auch kein Ein-
vernehmen über ihre Datierung erzielen können: So ist die traditionelle
Datierung der »Oberried-Flügel« um 1521 gerade erst widerlegt worden,
während bei den Baseler »Passionsflügeln« die Entstehungszeit bis heute
umstritten geblieben ist.26
Die Flügelbilder des »Oberried-Altars«
Die beiden Flügelbilder mit der Darstellung der Geburt Christi und der
Anbetung der Heiligen Drei Könige bilden den Mittelteil eines Tripty-
chons, das - laut Inschrift seit dem lahre 1554 - den Altar der Universi-
tätskapelle des Freiburger Münsters schmückt (Tafel 36-37).21 Die Ori-
ginalmalereien befinden sich auf den ehemaligen Innenseiten der jeweils
230x109cm messenden Flügel; die ursprünglichen Außenseiten sind
grundiert, aber nicht bemalt. Beide Gemälde sind seit der Mitte des
16. Jahrhunderts um zwei Tafeln ergänzt, die als Flügel des dergestalt
neugeschaffenen Triptychons dienen (Abb. 139). Von der Hand eines
nicht näher bekannten, lokalen Malers ausgeführt, zeigen sie die Heiligen
Hieronymus und Gregor den Großen.
Ähnlich wie die Baseler »Passionsflügel« waren auch die Freiburger
Gemälde schon früh als Holbein-Werke weithin berühmt - so erweckten
sie die Begehrlichkeit zweier deutsch-römischer Kaiser, Rudolfs II.
(1522-1612) und Ferdinands III. (1608-57), sowie des bayerischen Kur-
fürsten Maximilians I. (1573-1651), die sie erfolglos für ihre jeweiligen
Kunstsammlungen zu erwerben versuchten.28 Und wie die »Passionsflü-
gel« bereiten auch die »Oberried-Flügel« der kunsthistorischen For-
schung, seitdem sich diese im frühen 19. Jahrhundert mit ihnen zu
beschäftigen begann, bei der Einfügung ins Holbein-CEuvre erhebliche
Schwierigkeiten. So wurde gelegentlich gar die Richtigkeit der traditio-
nellen Zuschreibung an Hans Holbein d. J. in Frage gestellt,29 zumindest
aber ein Mangel an »religiöser Stimmung« in den Gemälden beklagt,
deren »... Gestalten mehr dem rein malerischen Reiz als der Innerlichkeit
der Empfindung hingegeben« seien.30
Die beiden oben segmentbogenförmig geschlossenen Flügelbilder zei-
gen am unteren Tafelrand die Mitglieder der Stifterfamilie. Sie knien
nahe der vorderen Bildebene und sind durch eine halbhohe Stein-
brüstung, die hinter ihnen aufragt, vom heiligen Geschehen selbst
abgetrennt. Letztlich noch (spät)mittelalterlichen Bildkonventionen ver-
pflichtet, sind sie gegenüber den biblischen Figuren »bedeutungs-
maßstäblich« verkleinert. Jeweils zur Mitte hin orientiert, erscheinen auf
dem linken Flügel, angeführt vom Stifter Hans Oberried d. Ä., die männ-
lichen (Tafel 38), auf dem rechten Flügel die weiblichen Familienangehö-
rigen, wobei hier Amalie Zscheckenbürlin, die Gattin Oberrieds, ans
Ende der Figurenreihe an den linken Bildrand gerückt ist (Tafel 39). Vor
den Figuren befindet sich jeweils das Wappen der Oberried (auf der
Männerseite) bzw. das der Zscheckenbürlin (auf der Frauenseite).
Auf dem linken Flügel ist die Geburt des Christuskindes und seine
Anbetung durch Maria, Joseph und einen herbeigeeilten Hirten als
Nachtstück in einer zwar teilweise überwachsenen, aber immer noch
prachtvollen antikischen Ruine dargestellt (Tafel 36, 40). Mond und
Sterne stehen am leicht bewölkten nächtlichen Himmel und helfen mit
ihrem kühlen Licht die Szenerie zu beleuchten, die allerdings im wesent-
lichen von dem übernatürlichen Licht erhellt wird, das vom neugebore-
nen Christuskind ausgeht.31 Die traditionell blau gekleidete Gottesmut-
ter ist vor ihrem auf einem weißen Tuch nackt am Boden liegenden Kind
auf die Knie gesunken, die Hände vor den Leib erhoben, das Haupt zum
Neugeborenen geneigt. Das strampelnde Kind hat sich dem Betrachter
194 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32
Walters Art Gallery, Ms. 449, fol. 6v
(Abb. 138), die ihrerseits in den Handschriften der anonymen ffanko-flä-
mischen Werkstatt des öfteren vorkommt.24
Tatsächlich läßt sich zeigen, daß Hans Holbein während seiner Frank-
reichreise 1523/24 mit Künstlern des »1520s Hours Workshop« in engen
Kontakt gekommen sein muß, denn die Rezeption ihrer Werke bleibt
nicht auf Holbeins Entwürfe für einzelne »Bilder des Todes« beschränkt,
wie die nähere Untersuchung der heute im Freiburger Münster verwahr-
ten Flügel des »Oberried-Altars« mit der Geburt Christi und der Anbe-
tung der Könige (Tafel 36-37) nachweisen wird. Daneben sollten aber
auch Werke des Mailänder Künstlers Andrea Solario, denen Holbein
ebenfalls in Frankreich begegnet sein muß, entscheidende Impulse für
sein Schaffen als Tafelmaler liefern. Hierfür sind die Baseler »Passions-
flügel« (Tafel 42) und die »Lais Corinthiaca« (Tafel 53) die Kronzeugen,
die im weiteren Verlauf dieses Kapitels aufgerufen werden sollen. Von den
genannten drei Arbeiten, die die unmittelbare Wirkung der Frankreich-
reise auf Holbeins Schaffen zeigen,25 ist nur die Lais inschriftlich auf das
Jahr 1526 datiert. Die beiden anderen Werke sind nicht nur bloß frag-
mentarisch erhalten; bei beiden hat die Forschung bisher auch kein Ein-
vernehmen über ihre Datierung erzielen können: So ist die traditionelle
Datierung der »Oberried-Flügel« um 1521 gerade erst widerlegt worden,
während bei den Baseler »Passionsflügeln« die Entstehungszeit bis heute
umstritten geblieben ist.26
Die Flügelbilder des »Oberried-Altars«
Die beiden Flügelbilder mit der Darstellung der Geburt Christi und der
Anbetung der Heiligen Drei Könige bilden den Mittelteil eines Tripty-
chons, das - laut Inschrift seit dem lahre 1554 - den Altar der Universi-
tätskapelle des Freiburger Münsters schmückt (Tafel 36-37).21 Die Ori-
ginalmalereien befinden sich auf den ehemaligen Innenseiten der jeweils
230x109cm messenden Flügel; die ursprünglichen Außenseiten sind
grundiert, aber nicht bemalt. Beide Gemälde sind seit der Mitte des
16. Jahrhunderts um zwei Tafeln ergänzt, die als Flügel des dergestalt
neugeschaffenen Triptychons dienen (Abb. 139). Von der Hand eines
nicht näher bekannten, lokalen Malers ausgeführt, zeigen sie die Heiligen
Hieronymus und Gregor den Großen.
Ähnlich wie die Baseler »Passionsflügel« waren auch die Freiburger
Gemälde schon früh als Holbein-Werke weithin berühmt - so erweckten
sie die Begehrlichkeit zweier deutsch-römischer Kaiser, Rudolfs II.
(1522-1612) und Ferdinands III. (1608-57), sowie des bayerischen Kur-
fürsten Maximilians I. (1573-1651), die sie erfolglos für ihre jeweiligen
Kunstsammlungen zu erwerben versuchten.28 Und wie die »Passionsflü-
gel« bereiten auch die »Oberried-Flügel« der kunsthistorischen For-
schung, seitdem sich diese im frühen 19. Jahrhundert mit ihnen zu
beschäftigen begann, bei der Einfügung ins Holbein-CEuvre erhebliche
Schwierigkeiten. So wurde gelegentlich gar die Richtigkeit der traditio-
nellen Zuschreibung an Hans Holbein d. J. in Frage gestellt,29 zumindest
aber ein Mangel an »religiöser Stimmung« in den Gemälden beklagt,
deren »... Gestalten mehr dem rein malerischen Reiz als der Innerlichkeit
der Empfindung hingegeben« seien.30
Die beiden oben segmentbogenförmig geschlossenen Flügelbilder zei-
gen am unteren Tafelrand die Mitglieder der Stifterfamilie. Sie knien
nahe der vorderen Bildebene und sind durch eine halbhohe Stein-
brüstung, die hinter ihnen aufragt, vom heiligen Geschehen selbst
abgetrennt. Letztlich noch (spät)mittelalterlichen Bildkonventionen ver-
pflichtet, sind sie gegenüber den biblischen Figuren »bedeutungs-
maßstäblich« verkleinert. Jeweils zur Mitte hin orientiert, erscheinen auf
dem linken Flügel, angeführt vom Stifter Hans Oberried d. Ä., die männ-
lichen (Tafel 38), auf dem rechten Flügel die weiblichen Familienangehö-
rigen, wobei hier Amalie Zscheckenbürlin, die Gattin Oberrieds, ans
Ende der Figurenreihe an den linken Bildrand gerückt ist (Tafel 39). Vor
den Figuren befindet sich jeweils das Wappen der Oberried (auf der
Männerseite) bzw. das der Zscheckenbürlin (auf der Frauenseite).
Auf dem linken Flügel ist die Geburt des Christuskindes und seine
Anbetung durch Maria, Joseph und einen herbeigeeilten Hirten als
Nachtstück in einer zwar teilweise überwachsenen, aber immer noch
prachtvollen antikischen Ruine dargestellt (Tafel 36, 40). Mond und
Sterne stehen am leicht bewölkten nächtlichen Himmel und helfen mit
ihrem kühlen Licht die Szenerie zu beleuchten, die allerdings im wesent-
lichen von dem übernatürlichen Licht erhellt wird, das vom neugebore-
nen Christuskind ausgeht.31 Die traditionell blau gekleidete Gottesmut-
ter ist vor ihrem auf einem weißen Tuch nackt am Boden liegenden Kind
auf die Knie gesunken, die Hände vor den Leib erhoben, das Haupt zum
Neugeborenen geneigt. Das strampelnde Kind hat sich dem Betrachter
194 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32