Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0200

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
ges, nur teilweise erhaltenes kassettiertes Tonnengewölbe. Andererseits
zeigt das Innere der »Westwand« des Hauptschiffs zwar unter einem
Thermenfenster einen zweiteiligen, an ein Kirchenportal erinnernden
Eingang, doch läßt die reiche Gliederung der oberen Wandabschnitte
keinerlei Rückschlüsse auf den Anschluß dieser Bauabschnitte an das
erste Joch des »Kirchenschiffs« zu.

Die durch üppiges Architekturdetail wie materielle Kostbarkeit auf-
trumpfende Architektur - neben reliefierten Pfeilerspiegeln, farbigen
oder kannelierten Marmorsäulen und reich skulptierten Kapitellen fin-
det sich figürlicher wie ornamentaler Bauschmuck - bezieht sich sicher-
lich nicht auf ein bestimmtes Gebäude, das der Maler hier hätte wieder-
geben wollen.34 Die nur ausschnitthaft ins Bild gesetzte Architektur
schafft vielmehr eine räumlich gegliederte und rhythmisierte Bühne für
die Darstellung der biblischen Hauptfiguren, die durch das vom Neuge-
borenen ausgehende göttliche Licht außerdem effektvoll ausgeleuchtet
wird: Der Arkadenbogen überspannt, die »Querhausecke« hinterfängt
die Heilige Familie und das auf dem Boden liegende Neugeborene. Der
von links heraneilende Hirte und der ihm gegenüberstehende Joseph
befinden sich zwar ungefähr in derselben Bildebene, doch erscheint der
Hirte vor der freistehenden Säule, während Joseph hinter dem vom rech-
ten Bildrand überschnittenen Pfeiler hervorzukommen scheint. Der im
Schatten liegende »Querhauswinkel« schließlich dient der wirkungsvol-
len Inszenierung des offenen Feuers, während im Mittelgrund das zwei-
geteilte Eingangsportal den hell strahlenden Engel und die erschrocke-
nen Hirten auf dem Felde rahmt.

Auf dem rechten Flügel ist die Anbetung der Könige dargestellt
(Tafel 37, 41). Der am Himmel in einer Wolkenlücke erscheinende Stern
hat die Heiligen Drei Könige an ihr Ziel geleitet - eine mächtige nach
links in die Bildtiefe fluchtende, in Ruinen liegende Palastarchitektur, die
nordalpin-mittelalterliche und antikisch-renaissancehafte Elemente mit-
einander verbindet und die von der Vegetation bereits teilweise zurück-
erobert wurde. Maria hat mit dem Kind auf dem Schoß auf einem höl-
zernen Stuhl Platz genommen, der an den rechten Bildrand vor die
Architektur gerückt ist. Ausgezeichnet durch eine Art Thronpodest, eine
sie hinterfangende, mehrfach abgetreppte Rundnische und ein nachträg-
lich in die Ruine eingebautes, weit vorkragendes Dach, nehmen Mutter
und Kind die Huldigung des ältesten Königs entgegen. Der kahlköpfige
Alte, mit hellkarminrotem Rock mit breitem Hermelinkragen bekleidet,
Schuhe und Trippen an den Füßen, ist auf die Knie gefallen und präsen-
tiert auf verhüllten, weit vorgestreckten Händen dem Christuskind eine
Schüssel mit Goldmünzen. Doch wie schon bei der Geburtsdarstellung
blickt das Kind aus dem Bilde in Richtung des Betrachters heraus, die
Rechte in einem kindlichen Segensgestus zum ältesten König ausge-
streckt. Rechts und links stehen nahe am vorderen Bildrand die beiden
anderen Könige und betrachten das Geschehen. Der mittlere König
befindet sich auf Mariens linker Seite. Antikisch mit einer Art grüner
Tunika mit blauem, goldverziertem Kragen und Schulterklappen ange-
tan, ist er ferner mit einem sandfarbenen Umhang mit bläulichen Fran-
sen und hellbraunen Schnürstiefeln ausgestattet; auf dem Haupt ruht
eine goldene, mit einem weißen Tuch umwundene Zackenkrone. Mit
beiden Händen hält es sein Geschenk, ein breites Deckelgefäß. Der jüng-
ste König ist als Farbiger gegeben und mit einem prachtvollen, goldde-
korierten weißen Rock sowie geschlitzten, gelblich-braunen Beinlingen
gekleidet; die Füße stecken in flachen »Kuhmaul-Schuhen«. Auf dem
Haupt trägt auch er eine goldene Zackenkrone, in der Linken auf einem
transparenten Tuch einen weitausladenden Deckelpokal. Den Bildvor-

dergrund zwischen den jüngeren Königen füllen ein weißes Windspiel
und ein Säulenstumpf.

Unmittelbar hinter der Anbetungsszene fällt der Boden in die Bildtiefe
steil ab, so daß das heranziehende Königsgefolge nur teilweise sichtbar
wird. Seitlich hinter dem Mohrenkönig ist ein schwarzgekleideter Mann
mit schwarzem, federgeschmücktem Hut auffällig ins Bild gesetzt. Er
blickt, mit der erhobenen Hand die Augen schirmend, schräg nach oben,
wo auf dem Vordach oberhalb der Madonna eine schwarzweißgefiederte
Elster oder ein Eichelhäher krächzt. Im Bildmittelgrund überquert der
Troß der Könige eine steinerne Brücke, die den Palast mit einem weite-
ren Gebäude am linken Bildrand verbindet.

Dank der Wappen sind die am unteren Bildrand dargestellten Stifter
bereits im frühen 19. Jahrhundert als Mitglieder der Familie des älteren
Hans Oberried (f 1543) erkannt worden.33 Der aus Freiburg stammende
Oberried war seit 1492 Baseler Bürger, heiratete in die dortige Patrizier-
familie Zscheckenbürlin ein und saß seit 1513 im Rat der Stadt. Zwar
wurde er ein letztes Mal noch am 9. Februar 1529 als Ratsherr bestätigt,
doch gab er bereits am 22. März desselben Jahres, nach Einführung der
Reformation, sein Baseler Bürgerrecht auf.36 Als Oberried bald darauf
mit einigen seiner Familienangehörigen nach Freiburg zurückkehrte,
nahm er die vermutlich für die - von Oberried vielfach beschenkte -
Baseler Kartause bestimmten Flügelbilder mit.37

Der Zeitpunkt, zu dem Oberried die Bilder mit Geburt und Königsan-
betung ursprünglich in Auftrag gegeben hatte, war allerdings mangels
äußerer Anhaltspunkte wesentlich schwerer zu ermitteln. Daher wurde
Franz Xaver Kraus' im Jahre 1890 geäußerte Vermutung, Oberrieds Nen-
nung im Zusammenhang mit einer Einzelzahlung an Holbein für die
Ausmalung des Baseler Großratssaals vom 14. September 1521 deute auf
die gleichzeitige Ausführung auch der Altarflügel hin, von der gesamten
nachfolgenden Forschung dankbar aufgegriffen.38 Dieser Annahme
sollte erst vor wenigen Jahren widersprochen werden:"9 Daniel Hess
konnte nicht nur zeigen, daß die Rechnungseintragung von 1521 keiner-
lei Rückschlüsse auf die Entstehungszeit der »Oberried-Flügel« zuläßt,40
sondern auch durch maltechnische Beobachtungen eine weitere zähle-
bige Legende des 19. Jahrhunderts zu Fall bringen,41 die die Datierung
der Flügelbilder in die Jahre um 1519-22 scheinbar gesichert hatte:
Anders als seit Alfred Woltmann angenommen, sind die drei Enkelsöhne
des Stifters {Abb. 35), deren jüngster spätestens im Jahre 1523 geboren
worden sein muß, keine nachträgliche Zutat zu dem Flügel mit der
Geburt Christi - etwa von der Hand des 1524 gestorbenen Hans Holbein
d. Ä.42 Sie gehören vielmehr zur ursprünglichen Komposition. Dies
beweist nicht allein der Umstand, daß ihre Unterzeichnung mit der der
übrigen Figuren übereinstimmt, sondern auch die Tatsache, daß cJie
Gestalten der drei Enkel aus der dunklen Farbe des Hintergrundes von
Anfang an ausgespart worden sind {Abb. 37).43 Aufgrund dieser Beob-
achtungen kam Hess zu dem Schluß, die Bemalung der »Oberried-Flü-
gel« könne frühestens um 1525/26 ausgeführt worden sein.44

Mit diesem Vorschlag geriet Hess allerdings in Widerspruch zu der von
ihm selbst akzeptierten traditionellen Identifikation eines Teils der weib-
lichen Familienangehörigen. Diese geht auf Paul Ganz' Beschäftigung
mit den »Oberried-Flügeln« aus dem Jahr 1923 zurück, die just mit einer
Feststellung der Identität aller Mitglieder der Sippe die Frühdatierung
der Gemälde um 1519-21 zu belegen versucht hatte. Ganz hatte in der
mittleren der fünf Oberried-Damen {Tafel 39) die älteste leibliche Toch-
ter des Stifterpaars, Elisabeth, sehen wollen. Da diese noch mit dem

196 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32
 
Annotationen