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gemacht, bis sich auf einmal ein Mißgeschick begibt, daß nämlich solche
Gruppe, wie vor einigen Jahren die Dresdener, Gelegenheit erhält, im Rah-
men einer allgemeineren Ausstellung: der Berliner Freien Sezession, auf-
zutreten, und dann zerstiebt mit einem Schlag ein mühselig aufgebauter
Nimbus ins Nichts. So entstehen die Lokalberühmtheiten, die lächerlichen
Überschätzungen, jene Pupillenstarre, die vor lauter Schulze, Cezanne
und Munch und Chagall überhaupt nicht mehr sieht. Ohne Übertreibung,
es entsteht so jener Typus Künstler, der großer Mann ist im Ländchen
Schwarzburg-Rudolstadt, Ruhm, der gerade von Hamburg bis Cuxhaven,
von Wächtersbach bis Weinheim, aber schon nicht mehr in Mannheim
oder Heidelberg gilt. Wobei gewiß nicht verkannt werden soll, daß ein-
zelne dieser Vereinigungen auch Ausgezeichnetes leisten, daß sie es ver-
stehen, einen gewissen Kreis von Menschen, der wahrscheinlich sonst in
lethargischem Gleichmut verblieben wäre, hinzuführen auch zu dem
Großen und allgemein Bedeutenden.
An sich wäre es ja gleichgültig, wenn irgendwo im Land ein kleiner
Mann sich einbilden kann, er sei ein zweiter Cezanne, oder wenn einer
der Kriegsverdiener etliche tausend Mark*) für ein Bild ausgibt, das mög-
licherweise in zwanzig Jahren nur noch ebenso viele hundert wert sein
wird, — das Bedenkliche ist, daß durch solch gezüchteten Größenwahn
manche Begabung, um die es schade ist, zu Grunde gerichtet wird, und
gerade wir in Deutschland hätten doch alle Ursache, mit unseren Begabun-
gen ökonomisch zu wirtschaften. Ein Beispiel, der Name tut nichts zur
Sache: es sind gerade zehn Jahre her, da tauchte ein damals schon nicht
mehl- ganz junger Künstler auf, der schwer mit sich rang, eine frische,
urwüchsige Kraft, eigenartig und viel verheißend. Er führte ein sehr, sehr
kärgliches Leben, hielt sich mit gewerblichen Arbeiten mühsam über
Wasser und malte nebenbei Bilder von seltener Eindringlichkeit. Ein
Kollege und ich, wir bemühten uns zwei volle Jahre, um den Herausgeber
einer Zeitschrift zu bewegen, endlich einmal auf diesen Künstler hinzu-
weisen. Die Publikation erschien, ein bekannter Kunsthändler begann sich
zu interessieren, der Maler war bekannt, berühmt. Überall wies man auf
ihn, eigentlich nur noch auf ihn hin. Das ganze Berlin-W., dem „das neue
Programm“ ja schon die verlockende Formel geworden war, wälzte sich
ins Atelier, riß förmlich die noch nassen Leinwände von der Staffelei, gab
Aufträge, wedelte Weihrauch. Aus dem bescheidenen Menschen war über
Nacht der sehr berühmte, sehr begehrte Maler geworden, der in dieser
*) Alle Markziffern in diesem Abschnitt sind selbstverständlich auf Index zu setzen, schon von
einer Korrektur zur anderen wären sie längst überholt.

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