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1892. Architektenhaus. Der Verein Berliner Künstler stellt die „neue
Kunst“ des „Ausländers“ Edvard Munch aus. Auf ein paar Tage nur. Dem
Skandal, diesem jungen Stürmer ein paar Ausstellungswände überlassen
zu haben, wird nämlich ein schnelles Ende bereitet. Die Herren Vereins-
professoren (sie hören sich in solchem Falle gern als die erfahrenen Fach-
leute anreden), das kunstbeflissene Publikum (das von Malerei schließlich
doch auch was versteht), die Einerseits-Anderseits-Kritik (die selbstver-
ständlich immer fortschrittlich, immer modern gesinnt ist, nur nicht in
dem Fall, der gerade vorkommt), alles ist empört über die Schmierereien
eines jungen Kerls, der noch nicht einmal . . . oder wie sonst die obligate
Phrase anzuheben beginnt. Hinter Munch stehen ein paar Gläubige, ein
winziges Häufchen Überzeugter. Und dieses Häufchen hat, wie es in
solchen Fällen das Übliche ist, recht behalten. Der vom Verein Berliner
Künstler ausgewiesene Munch wird heute in Deutschland gefeiert. Ja, sagt
man, die elende, die unverständige Zeit der neunziger Jahre! Heute wäre
so was ganz unmöglich. Danken wir Gott, daß wir nicht sind wie jene da.
Sind wir wirklich nicht?! In zwanzig Jahren wird’s sich ausweisen.

Munch ist stark, ist ehern geworden durch den Widerstand, den er ge-
funden hat. Die Zeit war hart gegen ihn, weil sie von ihm das Besondere
wollte. „Kämpfe mit ihm, bis seine Werke riesengroß werden und ihn er-
schlagen! Du ahnst nicht, was wir aus ihnen herauspressen können, aus
unseren Künstlern. Unbändige Schöpfungen, für die kein Sterblicher
genug Blut und Nerven übrig hat. Sie sträuben sich, denn sie fühlen, daß
sie all ihr Leben dabei ausspeien. Aber wir zwingen sie, wir kämpfen mit
ihnen . . . .“ Sollte Heinrich Mann mit dieser grausamen Forderung doch
recht haben? Müssen wir hart, müssen wir unerbittlich sein? Auch Munch
hatte die Neigung, zu zerflattern. In seinem Oeuvre gibt es ganze Strecken,
ganze Jahrgänge der Mattheit. Vieles ist Oberfläche geblieben. Aber er
hatte nicht die gutgläubige Gemeinde, die unbesehen hinnahm. Nicht jene
lauwarme Anbeterschaft, die statt der Augen zum Sehen nur Zungen zum
Lobpreisen hat. Er mußte ringen, mit Männern ringen, denen die Kunst
und der Künstler Sache des Lebens ist, und er hat sich durchgerungen.
Was wäre aus ihm geworden, wenn allzu hurtige Begeisterung ihn
vom ersten Auftreten an umjohlt hätte? Und wie werden in zwanzig

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