schäft. Unfaßbar, was einem die Jahreszahlen da offenbaren. 1888 schon
ein Kerl, der aufwartet mit grandiosen Stücken wie den „Sonnenblumen“,
der „Eisenbahnbrücke in Arles“, der „Zugbrücke“, den Porträts der Ar-
lesienne oder dem gewaltigen Stilleben mit den Büchern. Und ein Jahr
darauf sicht man van Gogh wie einen Malschüler, wie einen, der sich noch
gar nichts zutraut, Rembrandt, Daumier und Millet kopieren. Das mag
das Autodidaktische in ihm gewesen sein, daß er schuf wie keiner vor
und nach ihm, und daß er gerade darum gegen sich selbst mißtrauisch
war, daß er nie zu unterscheiden wußte, was er an seiner neuen Art als
eigenen Wert und was als eigenes Nichtvermögen einzuschätzen habe.
Und vielleicht war es auch sein Zeitschicksal, daß er zur Kunst kam, als
um Monet und den Japonismus gekämpft wurde, daß auch er Im-
pressionist sein wollte und, halb nur bewußt, bei einer Malerei, einer „ver-
einfachten Technik“ anlangt, die, wie er sich ausdrückt, „vielleicht nicht
impressionistisch ist“.
Daher dieses Fiebernde, Brennende, Sengende in seiner Kunst. Daher
diese orgiastische Gier, dieses ekstatische Wüten, das mit schneidigem
Seziermesser den Kern der Dinge bloßlegen will.
Vor van Gogh wollte alle Kunst den Stoff idealisieren (Raffael: die
Mutter zur Madonna; Michelangelo: die Führerpersönlichkeit zum Pro-
pheten; Dürer: den gottgläubigen Menschen zum Apostel; Goya: den Um-
stürzler zum Freiheitshelden; Millet: den Landmann zum Evangelisten^.
Van Gogh wollte das Kosmische materialisieren. Kein Ding erschien ihm
so gering, daß es sich nicht als das Gefäß des Allgeistes hätte offenbaren
können. Für ihn, den Maler, war die ganze Welt mit ihren Monumentali-
täten und Banalitäten nur Objekt der Anschauung.
Das bedeutet : er war besessen von einem Glauben, der jedes Ding und
jedes Geschehnis in Beziehung wußte mit dem Weltganzen, einem
Glauben, der eine alles überdauernde, alles durchdringende Urkraft am
Kleinen und Großen offenbar machen wollte: klar, eindeutig, eindringlich
und überzeugend.
Seine ganze Malerei war Erkenntnis und Bekenntnis. Das Bild als
solches bedeutet ihm wenig, fast gar nichts. Kein Maler hat sich gering-
schätziger über das Bildermachen ausgesprochen und keiner hat wieder-
um leidenschaftlicher malen wollen, malen müssen als gerade er. Über
die Darstellung hinaus züngelte seine Sehnsucht, sich auszudrücken, der
Welt ihr letztes Rätsel zu entschleiern.
Das war die apostolische Leidenschaft in diesem van Gogh.
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ein Kerl, der aufwartet mit grandiosen Stücken wie den „Sonnenblumen“,
der „Eisenbahnbrücke in Arles“, der „Zugbrücke“, den Porträts der Ar-
lesienne oder dem gewaltigen Stilleben mit den Büchern. Und ein Jahr
darauf sicht man van Gogh wie einen Malschüler, wie einen, der sich noch
gar nichts zutraut, Rembrandt, Daumier und Millet kopieren. Das mag
das Autodidaktische in ihm gewesen sein, daß er schuf wie keiner vor
und nach ihm, und daß er gerade darum gegen sich selbst mißtrauisch
war, daß er nie zu unterscheiden wußte, was er an seiner neuen Art als
eigenen Wert und was als eigenes Nichtvermögen einzuschätzen habe.
Und vielleicht war es auch sein Zeitschicksal, daß er zur Kunst kam, als
um Monet und den Japonismus gekämpft wurde, daß auch er Im-
pressionist sein wollte und, halb nur bewußt, bei einer Malerei, einer „ver-
einfachten Technik“ anlangt, die, wie er sich ausdrückt, „vielleicht nicht
impressionistisch ist“.
Daher dieses Fiebernde, Brennende, Sengende in seiner Kunst. Daher
diese orgiastische Gier, dieses ekstatische Wüten, das mit schneidigem
Seziermesser den Kern der Dinge bloßlegen will.
Vor van Gogh wollte alle Kunst den Stoff idealisieren (Raffael: die
Mutter zur Madonna; Michelangelo: die Führerpersönlichkeit zum Pro-
pheten; Dürer: den gottgläubigen Menschen zum Apostel; Goya: den Um-
stürzler zum Freiheitshelden; Millet: den Landmann zum Evangelisten^.
Van Gogh wollte das Kosmische materialisieren. Kein Ding erschien ihm
so gering, daß es sich nicht als das Gefäß des Allgeistes hätte offenbaren
können. Für ihn, den Maler, war die ganze Welt mit ihren Monumentali-
täten und Banalitäten nur Objekt der Anschauung.
Das bedeutet : er war besessen von einem Glauben, der jedes Ding und
jedes Geschehnis in Beziehung wußte mit dem Weltganzen, einem
Glauben, der eine alles überdauernde, alles durchdringende Urkraft am
Kleinen und Großen offenbar machen wollte: klar, eindeutig, eindringlich
und überzeugend.
Seine ganze Malerei war Erkenntnis und Bekenntnis. Das Bild als
solches bedeutet ihm wenig, fast gar nichts. Kein Maler hat sich gering-
schätziger über das Bildermachen ausgesprochen und keiner hat wieder-
um leidenschaftlicher malen wollen, malen müssen als gerade er. Über
die Darstellung hinaus züngelte seine Sehnsucht, sich auszudrücken, der
Welt ihr letztes Rätsel zu entschleiern.
Das war die apostolische Leidenschaft in diesem van Gogh.
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