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Diese Kunst ist gehörig aus den Kinderhosen ausgewachsen, ist bewußt,
so bewußt organisiert wie moderne Ingenieurarbeit. Ich will George Grosz,
der dem Militarismus so hold ist wie der Jude dem Schwein und der Türke
dem Wein, nicht weh tun, sonst würde ich sagen, sie sei in jedem Strich
auf strategische Offensive angelegt. Jedenfalls ist sie vollendete Ökonomie
der Mittel und Kräfte, fast Taylor-System des Zeichnerischen, alles ge-
stellt auf äußersten Nutzeffekt.
Es gibt eine allerjüngste Richtung im Künstlerischen: den „Konstrukti-
vismus“, die (romantisch fast) schwärmt von der Schönheit der Ingenieur-
form, der surrenden Räder, der Motoren, der Lastkrane, der Schiffskiele,
der Eisenhämmer, der Propeller. Man vergöttert, vergötzt fast den
Ingenieur, dem es Selbstverständlichkeit ist, sö unerhörte Lebendigkeit
der Form zu gestalten; aber diese Romantik übersieht oder will über-
sehen, daß dieses Formgestalten sozusagen nur ein Nebenprodukt des
Ingenieurschaffens ist, in den weitaus meisten Fällen ein ungewollt zu-
fälliges Nebenprodukt, denn zuerst und vor allem will der Ingenieur
doch das andere: den Standard der Leistung, den größtmöglichen Nutz-
effekt bei geringstem Aufwand an Kraft und Stoff. Auch in dem Sinne
könnte man von der Kalligraphie des George Grosz sagen, sie habe
innere Verwandtschaft mit der Ingenieurform. Sie ist da, nicht um ihrer
selbst willen; mit ihr hat sich ein Zeichner, ein Klassenkämpfer eine
Waffe geschliffen, eine Waffe pour ecraser l’infame. Grosz will Menschen
aktiv machen, Menschen sozial und politisch massieren, für ihn ist die
Zeichnung das, was für den Versammlungsagitator das gesprochene, für
den Leitartikler das geschriebene Wort ist. Malen, wie der Kunstmaler
Stilleben oder Frauenakte malt, malen, um den ästhetischen Sinn zu
charmieren, das ist nicht seine Sache, die sieht er an als eine Art Bieder-
meierlichkeit. Wie er von Nick Carter und Sherlock Holmes, von Boxern
und Ringkämpfern schwärmt, weil sie etwas sind, was die heutige Masse
in Atem hält, so schwärmt er von dem journalistischen Tageszeichner.
„Dieser Zeichnertyp wird noch leben, wenn der Staffeleibildmaler längst
ausgestorben ist. Er ist politisch — ähnlich wie in Amerika, wo solch ein
Zeichner eine Macht darstellt, von der wir uns hier keinen Begriff machen
können.“ Und da die deutsche Presse noch weil davon entfernt ist, sich in
diesem Sinne zu amerikanisieren, hat er immer wieder versucht, sich
selbst ein Organ zu schaffen: „Die Pleite“, „Jedermann sein eigener Fuß-
ball“, „Der blutige Ernst“, der „Gegner“. Kampforgane, intellektuelle
Maschinengewehre gegen Kapitalismus und Militarismus.
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