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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0385
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BESPRECHUNGEN.

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leins, welche nachweist, daß die Illustration, die Aufgabe irgend eine Sache darzu-
stellen, an die Photographie übergegangen ist. Dadurch hat aber die Malerei den
realen Gegenstand, d. h. den eigentlichen Zweck ihres Daseins verloren. Ein Ding
ohne realen Zweck geht aber unter allen Umständen zugrunde; die Kunstmalerei
ist ohne Zweifel am Ende. Es fehlt nicht an Parallelen: die Maschine verdrängt das
Handwerk und das Kunstgewerbe, der Film und das Stadion verdrängen das Thea-
ter, das Polytechnikum verdrängt die Universität, die Realschule verdrängt das Gym-
nasium.

Der Künstler wird sich notgedrungen auf ein Gebiet begeben müssen, wohin
ihm der Ingenieur, die Technik noch nicht folgen kann: die Plastik kündigt sich an.
Der Künstler wird den Menschen darstellen; aber er wird ihn nicht kopieren, son-
dern gestalten wie er sein soll. Der Ingenieur wird eines Tages auch auf dieses Ge-
biet folgen. Er wird den Organismus des normalen gut gebauten Menschen so raffi-
niert und differenziert auszirkeln, daß der Künstler schließlich im Kampf gegen eine
diszipliniertere Daseinsform erliegen wird. Der alte Kunstbegriff wird dann in der
zielbewußten, gesetzmäßig und realen Gestaltung, die heute schon als eine höhere
Stufe der Kunst angesehen werden darf, aufgegangen sein. Und darin spricht sich
der Titel des Büchleins: Von Kunst zur Gestaltung« am tiefsinnigsten aus.

Stuttgart.

Friedrich Sigmund.

Max Dvofäk, Kunstgeschichte als Geistesgeschichte. Studien zur abend-
ländischen Kunstentwicklung. R. Piper, München 1924.

Dieses Buch, aus dem Nachlasse herausgegebene Abhandlungen des bekannten
Wiener Kunsthistorikers, versucht, in der Kunstgeschichte von der frühchristlichen
Zeit bis zum Barock die Geistesgeschichte des Abendlandes überhaupt zu schreiben.
Ein gewaltiges Unternehmen, zu dem kraft der Fülle seines Wissens Dvofäk wie
kein anderer berufen war, das aber freilich durch seinen Tod fragmentarisch bleiben
mußte.

Eine solche zusammenschauende Betrachtungsweise der Kulturgebiete ist die
Forderung der Zukunft. Kunst-, Philosophie-, Wirtschafts- und politische Geschichte
stehen sich in der heutigen wissenschaftlichen Behandlung nur allzusehr als disjecta
metnbra gegenüber; wie ihr Stoff auf verschiedene Lehrkanzel verteilt ist, so fehlt
es fast ganz an Versuchen, alle Kulturerscheinungen in ihrem Zusammenhang als
Manifestationen eines Kulturgeistes zu begreifen. Es gibt eigentlich nur ein einziges
Werk, das eine solche Zusammenschau aller Kulturphänomene anstrebt: das ist
dasjenige Spenglers. Mit der gewaltigen Fülle farbenprächtiger Bilder, wie sie den
Werken Worringers und Spenglers eignet, kann sich freilich Dvofäks stark philo-
sophisch belastete Darstellung nicht vergleichen. Trotzdem erheben sich manche
seiner Aufsätze, wie z. B. die über Schongauer und Greco, zu glänzender Essayform.
Auf kleinstem Raum, und von den Tatsachen eines eng umgrenzten Einzelgebietes
ausgehend, gelangt Dvofäk in meisterhafter Induktion zu einem zusammenfassenden
Ausdruck seines Weltbildes und zu letzten Erkenntnissen über die Natur der neueren
Geistesgeschichte überhaupt.

Wir haben mit dem letzteren Satze zugleich den Gegensatz der Methode Wor-
ringers und Dvofäks angedeutet. Worringers Versuch, die Formprobleme der Gotik
zu erklären, ist deduktiv; er geht von einem intuitiv erfaßten Begriffe des gotischen
Kunstwollens aus, das er nun in der gesamten Entwicklung des abendländischen
Kunstgeistes sich manifestieren sieht. Ihm gegenüber ist Dvofäks Versuch induktiv.
 
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