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Zeitschrift für christliche Kunst — 8.1895

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Jostes, Franz: Die Darstellung der Kreuzigung Christi im Heliand
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https://doi.org/10.11588/diglit.4345#0043

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1895. - ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST _ Nr. 2.

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Die Darstellung der Kreuzigung Christi im Heliand.

s kann keinem Zweifel unterliegen,
dafs es für die Erkenntnifs des
Entwicklungsganges der Kunst
kein zuverlässigeres Material gibt,
als die Erzeugnisse der Kunst selbst. Leider
aber sind diese aus der Friihzeit unseres Volkes
nur höchst spärlich erhalten, und von dem
Erhaltenen ist auch noch nicht einmal alles
einheimischen Ursprunges. Wenn ich daher
versuche, für einen speziellen Fall andere Hülfs-
mittel herbeizuziehen, so glaube ich damit nicht
etwas völlig Ueberflüssiges zu thun.

Ich hätte den Titel weiter gefafst und mich
nicht auf den „Heliand" beschränkt, wenn es
einen praktischen Werth gehabt hätte und dieses
Werk nicht das einzige unter den deutschen
wäre, welches für die frühromanische Periode
etwas zur Lösung der Frage bietet.

Der Heliand ist aber um so wichtiger, als
er von einem Manne aus dem Volke her-
rührt, den sein Beruf als Sänger in innigster
Verbindung mit dem Volke hielt, und der
überdies nach dem ausdrücklichen Willen seines
Auftraggebers, Ludwigs des Frommen, sein Ge-
dicht für das Volk im eigentlichen Sinne des
Wortes verfafst hat. Aus diesen Umständen
erklärt es sich, dafs er auch in der Schilderung
der Kreuzigung Christi ausführlicher ist, als
z. B. sein Gegenstück, der Mönch Otfrid, der
sich streng auf die Nachrichten der Evangelien
beschränkt und gar keine Rücksicht darauf
nimmt, dafs diese zunächst für ein Publikum
geschrieben waren, das den Vorgang der Kreu-
zigung aus eigener Anschauung ganz genau
kannte, während das bei den Deutschen des
IX. Jahrh. doch durchaus nicht der Fall war.

Es hat keinen Zweck, hier die Frage auf-
zuwerfen, ob der Dichter des Heliand die Nach-
richten der Evangelien aus eigener Lektüre
gekannt hat und so mit Absicht über sie hinaus-
gegangen ist; auch wenn das der Fall sein
sollte, so steht doch fest, dafs er sich dabei
in den Grenzen der damaligen Volksanschauung
gehalten und nicht etwa eine aus dem Studium
der römischen Schriftsteller herausgewachsene
Privatansicht zur Geltung gebracht hat.

Wenn wir die Abfassung des Heliand um
das Jahr 830 ansetzen, so können wir uns nicht
erheblich mehr als um ein Jahrzehnt irren.
Sie fällt also in eine Zeit, in der Westfalen,

auch die nordwestlichen an Friesland grenzen-
den Theile, das Christenthum längst angenommen
und nach den karolingischen Pfarrumschreibun-
gen in den Kirchen auch Mittel- und Sammel-
punkte besafsen; es war kein Missionsland mehr,
und der Dichter konnte auch keine erwachsen
getauften Christen bei seiner Dichtung mehr im
Auge haben.

Nun ist es freilich zweifellos, dafs die Kruzi-
fixe damals nicht so häufig waren als heute,
aber bekanntlich wächst mit der Häufigkeit
einer Sache ihre Erkenntnifs noch lange nicht
im gleichen Maafse, ja sie hindert sie in mancher
Beziehung sogar; aber jede Kirche besafs doch
mindestens ein Exemplar und zwar eines von
solchem Umfange und in solcher Stellung, dafs
es jeder Kirchenbesucher sehen konnte. Diese
Hauptkruzifixe hatten dem Volke als An-
schauungsunterricht über die Kreuzigung Christi
gedient, und wenn er vielleicht auch hier und
dort in dem einen oder anderen I'unkte un-
vollkommen war, so konnte ein Volksdichter,
wenn er auch im Einzelnen feiner ausführte,
doch nicht im Allgemeinen die durch diese
Bilder bereits befestigte Anschauung verletzen.
Wie stellt nun der Dichter des Heliand die
Kreuzigung dar? Ich lasse hier die entschei-
denden Stellen unbekümmert um die poetische
Form in ganz getreuer Uebersetzung folgen:

Vers 5532 ff.:
Als sie dort auf dem Platze den Galgen aufrichteten,
oben auf dem Felde, das Volk der Juden,
den Baum auf dem Berge, und daran das Kind Gottes
marterten am Kreuze, schlugen sie kaltes Eisen,
neue Nägel, spitzig scharfe,
heftig mit Hämmern durch seine Hände und durch

seine Fitfse,
bittere Bande. Sein Blut rann zur Erde,
der Flufs von unserm Herrn.....

Vers 5549 ff.:
Des Volkes Ilirte, der Herzog, hiefs da
über dem Haupte desselbigen Christus
an das Kreuz schreiben, dafs das wäre der König

der Juden,
Jesus von Nazareth, der da genagelt stand
an dem neuem Galgen aus Ilafs,
an dem Baumstämme.......

Vers 55h0 ff.:

......Da sprach da auch in den Banden

der Diebe einer, grad wie er vom Volke es hörte,
mit boshaften Worten — nicht war sein Wille gut,
Des Mannes Meinung —: „Bist du der Volkskönig",

sprach er,
„Christ Gottes Sohn, dann geh von dem Kreuze herab,
 
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