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18!)5.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.
04
wohnlichen abweichenden Kreuzigungsart bei
Christus gar nicht dachte, denn wäre die Form
der Kreuze verschieden oder die Schacher etwa
nur mit Stricken befestigt gewesen, so hätte
man ein Wunder nicht für nöthig halten können.
Also zu jener Zeit stellte man sich die
Kreuzigung Christi noch als die allgemein ge-
bräuchliche vor, und aus den oben angeführten
Stellen — die ein in der theologischen Litte-
ratur jener Zeit Bewanderter gewifs noch ver-
mehren könnte — haben wir gesehen, wie lange
speziell bezüglich der Stricke die richtige An-
schauung fortlebte. Wenn nun später Ver-
schiedenheiten auftauchen, so müssen sie ihren
Grund gehabt haben. Bei der Darstellung der
Kreuzigung Christi ist ein solcher vorhanden:
der Idealismus; aber bei den Schachern hat
dieser doch nicht mitgewirkt, und wenn sie die
von der Geschichte und auch von dem älteren
christlichen Volksbewufstsein geforderten Stricke
bis auf den heutigen Tag so vielfach be-
wahrt haben, dann ist das nur, wie ich glaube,
durch eine ununterbrochene Tradition zu er-
klären und die Annahme gerechtfertigt, dafs es
eine Zeit gegeben, wo auch Christus wenigstens
nicht selten aufser mit Nägeln noch mit Stricken
an's Kreuz befestigt dargestellt wurde. Mit dem
Erlöschen des historischen Bewufstseins ging
die Tendenz, durch die Darstellung der Kreuzi-
gung nicht mehr den Triumph, sondern das
Leiden Christi dem Volke vorzustellen, im
gleichen Schritt, und für das „Leiden" Christi
waren die Stricke — die ebenso wie in den
letzten Jahrhunderten und auch heute noch
wohl die Dornenkrone in natura angebracht sein
mochten — gar nicht von Bedeutung. Vielleicht
ist ihre Anwendung überhaupt auf die Zeit der
karolingischen Renaissance beschränkt gewesen.
Man nehme die vorstehenden Bemerkungen
so auf, wie sie gemeint sind. Eins dürften sie
jedenfalls zeigen, dafs eine gründliche Behand-
lung des Gegenstandes noch nicht als etwas
überflüssig Gewordenes angesehen weiden kann.
Freiburg i. S. Franz Jos tes.
Buch
erschau
h;
Der Apoll von Belvedere. Eine archäologische
Studie von Dr. Hermann Freericks. Pader-
born 181J4, Verlag von F. Schüningh. (Preis Mk. 1,'iO.)
Mit der berühmten Statue im Vatikan beschäftigt
sich dieses Schnftchen, welches zunächst einen inter-
essanten Ueberblick über die zahlreichen Erklärungsver-
suche bietet, dann die Krage der Ergänzung erörtert,
die als eine gewaltsame, daher unglückliche bezeichnet
wird, endlich dem Torso eine eigene Erklärung wid-
met, die ihn (das Gegenstück zur bekannten Artemis
von Versailles) als Licht- und insbesondere als heim-
kehrenden Frühlingsgott auffafst. Nicht für ein Origi-
nal hält ihn der Verfasser, sondern für eine Nach-
bildung des Apollo, der als ein Werk des Leochares
vor dem Tempel des delischen l'atroos stand. is.
Die kirchliche Kunst, redigirt von P.Johannes
Geistberger, O. S. B., Pfarrvikar in Egendorf
(Obcrösterreich). I.Jahrgang. Wien 1894, Verlag
von Johann Heindl (Preis 2 Mark).
Zweimal im Monate erscheint diese neue Zeitschrift,
deren I. Jahrgang hauptsächlich eine von 72 Ab-
bildungen erläuterte lehrreiche Uebersicht über die
Entwickelang der Architektur bietet, vom antiken
Tempelbau bis zur Blüthezeit der Gothik. Mehrere,
vornehmlich der kirchlichen Ikonographie und Sym-
bolik gewidmete ,,Aufsätze" und ein halbes Hundert
„kurzer Mittheilungen", die besonders praktischen
Kunstzwecken dienen, schliefsen sieh jenen durch die
einzelnen Nummern fortlaufenden Unterweisungen an,
so dafs sowohl die Theorie wie die Praxis der
kirchlichen Kunst ihre Rechnung rindet und mancherlei
recht schätzenswerthe Belehrung und Anregung ge-
boten wird. G.
KUhlen's Kunstverlag hat seinen Schatz von
Farb.endruckbildern um eine Reproduktion der
karmelit a n i s c hen Ma d o nna vermehrt, die zu
den lieblichsten Schöpfungen der Freiin von Oer zählt.
Von dem goldenen Hintergrunde, dessen stilisirtes
Dessin fast zu stark betont ist, hebt sich das Brustbild
der Gottesmutter mit dem Skapulier in der rechten
Hand wirkungsvoll ab. Die Feinheiten der Farben-
stimmung sind vortrefflich wiedergegeben und die
anmuthigen Kopfchen mit solcher Zartheit ausgeführt,
dafs der kleine Farbendruck als ein technisches Meister-
stück bezeichnet weiden darf. Wenn die besten An-
dachtsbilder aus den deutschen und flandrischen Schulen
des späten Mittelalters mit gleicher Treue und Sorgfalt
reproduzirt sein werden, so wird allen Anforderungen
an die religiösen Farbendrucke Genüge geschehen sein.
„Ein moderner Todtentanz", so lautet der
Titel einer kunstvoll ausgestatteten Mappe, welche
zwanzig Blätter aus dem Bilderbuch des Todes ent-
hält (zum Preise von Mk. 7,50). Professor Tobias
Weiss, dem der in demselben Verlage erschienene
■biblische Todtentanz „Sceptra mortis" zu danken
ist, hat sie gezeichnet, P. Kreiten sie mit einem tief-
sinnigen Einleitungsgedichte und Vorwort sowie mit
einzelnen Sprüchlein begleitet. Mitten in das hewegte
Leben unserer Tage führen die geschickt komponirten
und im Ganzen gut gezeichneten Bilder, denn durchaus
moderner Charakter schon aus manchen Unterschriften
hervorgeht, wie: Beim Börsenfürst, Auf der Barrikade,
DerWeichensteller, Die Schiffskatastrophe, Die Bomben-
werfer, Im Ballet, Im Duell u. s. w. Manchem mögen
die meisten Darstellungen zu ernst und schauerlich
sein, aber sie entsprechen unserer Zeit, deren schwere
Krankheiten auch scharfe Heilmittel verlangen. H.
18!)5.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.
04
wohnlichen abweichenden Kreuzigungsart bei
Christus gar nicht dachte, denn wäre die Form
der Kreuze verschieden oder die Schacher etwa
nur mit Stricken befestigt gewesen, so hätte
man ein Wunder nicht für nöthig halten können.
Also zu jener Zeit stellte man sich die
Kreuzigung Christi noch als die allgemein ge-
bräuchliche vor, und aus den oben angeführten
Stellen — die ein in der theologischen Litte-
ratur jener Zeit Bewanderter gewifs noch ver-
mehren könnte — haben wir gesehen, wie lange
speziell bezüglich der Stricke die richtige An-
schauung fortlebte. Wenn nun später Ver-
schiedenheiten auftauchen, so müssen sie ihren
Grund gehabt haben. Bei der Darstellung der
Kreuzigung Christi ist ein solcher vorhanden:
der Idealismus; aber bei den Schachern hat
dieser doch nicht mitgewirkt, und wenn sie die
von der Geschichte und auch von dem älteren
christlichen Volksbewufstsein geforderten Stricke
bis auf den heutigen Tag so vielfach be-
wahrt haben, dann ist das nur, wie ich glaube,
durch eine ununterbrochene Tradition zu er-
klären und die Annahme gerechtfertigt, dafs es
eine Zeit gegeben, wo auch Christus wenigstens
nicht selten aufser mit Nägeln noch mit Stricken
an's Kreuz befestigt dargestellt wurde. Mit dem
Erlöschen des historischen Bewufstseins ging
die Tendenz, durch die Darstellung der Kreuzi-
gung nicht mehr den Triumph, sondern das
Leiden Christi dem Volke vorzustellen, im
gleichen Schritt, und für das „Leiden" Christi
waren die Stricke — die ebenso wie in den
letzten Jahrhunderten und auch heute noch
wohl die Dornenkrone in natura angebracht sein
mochten — gar nicht von Bedeutung. Vielleicht
ist ihre Anwendung überhaupt auf die Zeit der
karolingischen Renaissance beschränkt gewesen.
Man nehme die vorstehenden Bemerkungen
so auf, wie sie gemeint sind. Eins dürften sie
jedenfalls zeigen, dafs eine gründliche Behand-
lung des Gegenstandes noch nicht als etwas
überflüssig Gewordenes angesehen weiden kann.
Freiburg i. S. Franz Jos tes.
Buch
erschau
h;
Der Apoll von Belvedere. Eine archäologische
Studie von Dr. Hermann Freericks. Pader-
born 181J4, Verlag von F. Schüningh. (Preis Mk. 1,'iO.)
Mit der berühmten Statue im Vatikan beschäftigt
sich dieses Schnftchen, welches zunächst einen inter-
essanten Ueberblick über die zahlreichen Erklärungsver-
suche bietet, dann die Krage der Ergänzung erörtert,
die als eine gewaltsame, daher unglückliche bezeichnet
wird, endlich dem Torso eine eigene Erklärung wid-
met, die ihn (das Gegenstück zur bekannten Artemis
von Versailles) als Licht- und insbesondere als heim-
kehrenden Frühlingsgott auffafst. Nicht für ein Origi-
nal hält ihn der Verfasser, sondern für eine Nach-
bildung des Apollo, der als ein Werk des Leochares
vor dem Tempel des delischen l'atroos stand. is.
Die kirchliche Kunst, redigirt von P.Johannes
Geistberger, O. S. B., Pfarrvikar in Egendorf
(Obcrösterreich). I.Jahrgang. Wien 1894, Verlag
von Johann Heindl (Preis 2 Mark).
Zweimal im Monate erscheint diese neue Zeitschrift,
deren I. Jahrgang hauptsächlich eine von 72 Ab-
bildungen erläuterte lehrreiche Uebersicht über die
Entwickelang der Architektur bietet, vom antiken
Tempelbau bis zur Blüthezeit der Gothik. Mehrere,
vornehmlich der kirchlichen Ikonographie und Sym-
bolik gewidmete ,,Aufsätze" und ein halbes Hundert
„kurzer Mittheilungen", die besonders praktischen
Kunstzwecken dienen, schliefsen sieh jenen durch die
einzelnen Nummern fortlaufenden Unterweisungen an,
so dafs sowohl die Theorie wie die Praxis der
kirchlichen Kunst ihre Rechnung rindet und mancherlei
recht schätzenswerthe Belehrung und Anregung ge-
boten wird. G.
KUhlen's Kunstverlag hat seinen Schatz von
Farb.endruckbildern um eine Reproduktion der
karmelit a n i s c hen Ma d o nna vermehrt, die zu
den lieblichsten Schöpfungen der Freiin von Oer zählt.
Von dem goldenen Hintergrunde, dessen stilisirtes
Dessin fast zu stark betont ist, hebt sich das Brustbild
der Gottesmutter mit dem Skapulier in der rechten
Hand wirkungsvoll ab. Die Feinheiten der Farben-
stimmung sind vortrefflich wiedergegeben und die
anmuthigen Kopfchen mit solcher Zartheit ausgeführt,
dafs der kleine Farbendruck als ein technisches Meister-
stück bezeichnet weiden darf. Wenn die besten An-
dachtsbilder aus den deutschen und flandrischen Schulen
des späten Mittelalters mit gleicher Treue und Sorgfalt
reproduzirt sein werden, so wird allen Anforderungen
an die religiösen Farbendrucke Genüge geschehen sein.
„Ein moderner Todtentanz", so lautet der
Titel einer kunstvoll ausgestatteten Mappe, welche
zwanzig Blätter aus dem Bilderbuch des Todes ent-
hält (zum Preise von Mk. 7,50). Professor Tobias
Weiss, dem der in demselben Verlage erschienene
■biblische Todtentanz „Sceptra mortis" zu danken
ist, hat sie gezeichnet, P. Kreiten sie mit einem tief-
sinnigen Einleitungsgedichte und Vorwort sowie mit
einzelnen Sprüchlein begleitet. Mitten in das hewegte
Leben unserer Tage führen die geschickt komponirten
und im Ganzen gut gezeichneten Bilder, denn durchaus
moderner Charakter schon aus manchen Unterschriften
hervorgeht, wie: Beim Börsenfürst, Auf der Barrikade,
DerWeichensteller, Die Schiffskatastrophe, Die Bomben-
werfer, Im Ballet, Im Duell u. s. w. Manchem mögen
die meisten Darstellungen zu ernst und schauerlich
sein, aber sie entsprechen unserer Zeit, deren schwere
Krankheiten auch scharfe Heilmittel verlangen. H.