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Zeitschrift für christliche Kunst — 8.1895

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Schrörs, Heinrich: Die kirchliche Kunst in der Gegenwart und ihre nächste Aufgabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.4345#0105

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18'J5. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST _ Nr. 5.

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Die kirchliche Kunst in der Gegenwart und ihre nächste Aufgabe.

riedrichO verbeck, der sinnige Meister,
der es nicht als eine Entweihung
seiner Kunst ansah, wenn Stift und
Pinsel nicht allein dazu da sein
wollen, um den flüchtigen Kindern der Phantasie
Gestalt und Leben zu verleihen, sondern auch
um verstandesklare Ideen auszudrücken und mit
dem Duft der Farbenpoesie zu umgeben, hat
eine gedankenreiche Komposition hinterlassen:')
die Jungfrauen des Evangeliums als Sinnbild
der christlichen Kunst in ihrer entscheidenden
Stunde. Nach der langen Zeit der Entfremdung
erwartet die Kunst den himmlischen Bräutigam,
der sie wieder in seine Gemächer einführen
will. Wird sie nicht den thörichten Jungfrauen
gleichen? Wird das Oel, das der Geist unseres
Jahrhunderts in ihre Lampe gefüllt hat, hin-
reichen: Wird die Flamme, die von hochzeit-
lichem Eifer entzündet wurde, Kraft haben zu
leuchten bis zum vollen Anbruche des neuen
Tages kirchlicher Kunst?

Für die Richtung, die sich an Overbeck's
und seiner Genossen Namen knüpft, hat die Ge-
schichte bereits die Antwort gegeben. Aber
heute möchte man von Neuem jene sorgen-
vollen Fragen stellen an Alle, die es redlich
meinen mit der abermals erhofften gröfsern
Zukunft. Gewifs, es gehört zu den erfreulichsten
Erscheinungen katholischen Lebens in der Gegen-
wart, dafs auch der Genius der heiligen Kunst
sein leuchtendes Auge wieder aufschlagen und
seine schlaff gewordenen Schwingen im frischen
Morgenwinde neuer Begeisterung prüfen will.
Indefs, steht nicht zu befürchten, dafs sein Flug
durch allzu enge Bahnen streiche, oder dafs
er keck und willkürlich Kreise ziehe, die sich
planlos in's Weite und Unbestimmte verlieren?
Angesichts der jüngsten Bewegungen lassen sich
solche Besorgnisse nicht ganz abweisen.

Da hören wir mit ebenso feinsinniger Kritik
wie weihevoller Beredtsamkeit eine klösterliche
Malersclmle als die begnadete preisen, in deren
Schofse die kirchliche Kunst wiedergeboren
werde. Auch wir bewundern aufrichtig die
künstlerische Kraft, die so hohe Gedanken, die
Gefühle von so tiefer und warmer Religiosität
in so einfache Formen zu giefsen weifs. Auch
wir verehren den lieblich ernsten Hauch welt-

') M. Howitt, »Friedrich Overbeck. Sein Leben
und Schaffen«. Freiburg 1Ö8G, II, 375 f.

verachtender Aszese, der durch ihre Bilder
geht. Allein zweifeln darf man doch, ob die
Hände, die sie schufen, berufen sind, uns den
neuen kirchlichen Stil monumentaler Malerei
zu geben. Denn auf mehr als einem Blatte
hat die Kunstgeschichte es verzeichnet, dafs die
Wandmalerei als der unmittelbare Sprofs am
Stamme der Architektur kraftlos wird, wenn sie
sich innerlich von dieser und ihren charak-
teristischen Stilgesetzen loslöst. Eine Weise
der Auffassung und Formgebung, die zugleich
für die ernsten Mauern einer romanischen
Basilika wie für die lebendigen Gliederungen
einer spätgothischen Hallenkirche und selbst für
das hochtönende Pathos des Barocco passen
will, setzt sich der Gefahr aus, nirgendwo hei-
misch zu werden.

Doch besitzt vielleicht diese Kunst einen
besondern Rechtstitel, über alle historischen
Stile der Baukunst und ihre Forderungen hin-
wegzuschreiten, während man sonst glaubt, die
monumentale Malerei müsse, wie es in ihrer
Natur liegt, im Dienste jener stehen. Man ver-
sichert uns nämlich, dafs diese Schule in souve-
räner Majestät hoch über Allem throne, was die
einzelnen Epochen hervorgebracht haben, und
darum sich nicht an einen architektonischen
Stilcharakter zu binden brauche. Man rühmt
uns den gesunden Eklektizismus, der nunmehr
aus der ganzen Vergangenheit alle „Elemente,
Gesetze und Formen" herausgefunden habe, die
„von universaler Gültigkeit und bleibendem
Werthe" seien. Freilich ist es richtig, dafs es ge-
wisse unvergängliche Grundideen in der religiösen
Kunst des Christenthums gibt, die so ewig sind
wie der Gott, der sie offenbarte; aber die Sprache,
in der die Kunst sie nachstammelt, ist in unauf-
haltsamem Wechsel begriffen, ndvia qiT, hat
ein alter Philosoph gesagt, und die wissen-
schaftliche Geschichtsbetrachtung hat ihm wie
für alle Gebiete des Menschlichen so auch für
das der Kunst Recht gegeben. Und wenn man
uns doch einmal die geheimnifsvolle Richt-
schnur verriethe, an der gemessen werden soll,
was aus den Jahrhunderten des Kunstlebens als
vergänglich und den Wandlungen des Volks-
geistes unterworfen anzusehen sei, und was
nicht. Der Aesthetik wie auch der Beurtheilung
der kirchlichen Kunstgeschichte würde damit
ein unermefslicher Dienst erwiesen sein.
 
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