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Zeitschrift für christliche Kunst — 8.1895

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Keppler, Paul Wilhelm von: Gedanken über die moderne Malerei, [2]: Neue Folge
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https://doi.org/10.11588/diglit.4345#0059

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81

1895. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

82

Gedanken über die

Neue F

II.

|ir dürfen auch diesmal der peinlichen
Frage nicht aus dem Wege gehen:
wie steht es um die moralische Ge-
sundheit der modernen Malerei?
sind die Beziehungen zwischen ihr und dem
Sittlichkeitsbewufstsein der Menschheit auch
jetzt noch vielfach gespannte; hat der porno-
graphische Unfug in den Ausstellungen zuge-
nommen oder abgenommen?

Volkelt widmet dem Verhältnifs der Kunst
zur Moral seinen ersten Vortrag.1) Nachdem
er konstatirt, dafs die gegenwärtige schöne Litte-
ratur mit Vorliebe in die moralische Jämmerlich-
keit hinabgreife und viele moderne Dichter eine
besonders gewürzte Lust daran zu empfinden
scheinen, mit wahrhaft virtuos entwickelter Nase
an den verschiedenen Arten und Nuancen des
moralisch Stinkenden herumzuschnüffeln, stellt
er die folgenden Leitsätze auf: „Um welchen
Bethätigungskreis es sich auch handle, überall
soll sich das menschliche Streben und Arbeiten
in den Dienst des Guten stellen. Förderung und
Verwirklichung des Guten ist das gemeinsame
Ziel, dem sämmtliche Richtungen menschlicher
Thätigkeit unterthan sind. Ein menschlicher
Thätigkeitszweig, zu dessen Natur es gehörte,
die Menschheit zu moralischer Entwürdigung zu
führen, würde sich eben damit als unberechtigt
und als werth, ausgetilgt zu werden, erklären.
Auch die Kunst ist höchsten Endes dazu da, die
Menschheit auf ihrem Weg zum Guten zu fördern.
Auch der Künstler soll sich mit dem Gefühl
erfüllen, dafs sein Schaffen sich in die sittliche
Entwicklung der Menschheit einzugliedern habe.
Der Künstler soll es nicht als seiner unwürdig,
als kleinlich und hausbacken ansehen, wenn ihm
zugemuthet wird, die sittlichen Ideale als auch
für ihn geltend anzuerkennen. Wollte die Kunst
sich dessen weigern, so wäre damit die Moral
überhaupt für abgesetzt erklärt. Für die Moral
steht die Sache so: entweder ist ihr das Leben
in allen seinen Bethätigungen unterworfen,
oder sie hat überhaupt ihre Herrschaft ein-
gebüßt" (S. 7). Er fragt, ob nicht, wenn man
die Kunst unter das Gesetz des Moralischen
stelle, eine Verkürzung oder Einzwängung ihres
eigenen Wesens und Lebens die Folge sei, —

') »Aeslhetische Zeitfragen« S. 1—41.

moderne Malerei.

olge.

und er verneint diese Frage. „Die sittlichen
Ideale sind für die Kunst kein lästiger Zügel,
geschweige denn eine Zuchtruthe; mag sich nur
die Kunst froh und ungezwungen nach ihren
eigenen Bedürfnissen ausleben, sie darf dann
sicher sein, auch letzten Endes im Dienste der
Sittlichkeit zu wirken" (S. 8). „Wenn ein Künstler
in seinem Schaffen es mit den sittlichen Idealen
leicht nimmt, sie gar als verlachenswerth hinstellt
und die Beschauer oder Leser in's Gemeine
herabzerren.will, so fügt er seinen Schöpfungen
nicht nur einen sittlichen, sondern auch einen
schweren ästhetischen Schaden zu. Denn es
kommt nun einmal der Kunst keine Ausnahme-
stellung zu; auch sie hat sich der sittlichen Ent-
wicklung der Menschheit einzuordnen; setzt sie
sich über diese Zugehörigkeit weg, so hat sie
damit auch ihren Kunstcharakter entstellt" (S.10).
„Es wird daher mit unnachsichtlicher Strenge
über solche Erzeugnisse zu urtheilen sein, aus
denen deutlich herauszulesen ist: Der Urheber
will den Betrachter oder Leser zuchtlos machen,
in Aufgeregtheit oder Verwilderung versetzen, er
hat seine Freude daran, begehrlich zu stimmen,
zu erhitzen, Pflichtgefühl und Vernunft um ihre
Herrschaft zu bringen" (S. 13). „Untergrabung
und Zerstörung des sittlichen Kerns im Menschen
ist für die Kunst gerade so wie für jede andere
Bethätigung ein unbedingt Verbotenes" (S. 15).
Wer freut sich nicht aufrichtig über dieses
mannhafte ethische Glaubensbekenntnifs? Aber
freilich dessen Festigkeit und Entschiedenheit
in theoria kommt in praxi in ein bedenkliches
Schwanken, sobald es sich darum handelt,
welcher Moral und Sittlichkeit die Kunst sich
unterzuordnen habe. Klar ist dem Verfasser hier
nur soviel, dafs man die sittlichen Ideale nicht
in engherzigem oder schulmeisterlichem Sinne
auffassen, nicht als starre, unduldsame, hoch-
müthige Normen nehmen dürfe (S. 8 f.). Kon-
kreter gesprochen heifst das, man dürfe die
Moralität „nicht nur im christlichen Sinne oder
in der Weise der Kantischen Philosophie" ver-
stehen, denn dann „würde Mifstrauen, Feind-
schaft und Kampf gegen die Sinnlichkeit im
weitesten Umfang, Unterdrückung des Natür-
lichen durch den Geist, Triumph der Vernunft
über die gefährlichen, versuchungsreichen Triebe
und Neigungen zum Wesen der Sittlichkeit ge-
 
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