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Zeitschrift für christliche Kunst — 8.1895

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Effmann, Wilhelm: Die St. Luciuskirche zu Chur, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4345#0224

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345

1895. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. J1.

346

Die St. Luciuskirche zu Chur.

Mit 2 Abbildungen.

I.

eim Anblick der Stadt Chur, sagt

Mayer in der Vorrede zu seiner

verdienstvollen, die Geschichte der

Kirche, des Klosters und des Semi

nars St. Lucius bei Chur behandelnden Schrift,
„fällt ein Gebäude besonders in's Auge, das
nur wenige Schritte ob der Kathedrale, am
Fufse des Mittenberges gelegen, die ganze
Stadt beherrscht. Es ist dies das ehemalige
Kloster und jetzige Priesterseminar St. Luzi,
einer der historisch merkwürdigsten Punkte des
Bisthums Chur. Einst die Grabstätte des
Landesapostels, die älteste Kirche und ursprüng-
liche Kathedrale von Chur, hat der Ort im
Laufe der Zeit die verschiedensten Schicksale
erlebt und fast alle umgestaltenden Epochen
der Kirchengeschichte haben auch in St. Luzi
eine gänzliche Veränderung hervorgerufen."1)
Aber trotz dieser Umgestaltungen ist in dem
Bestände der Luciuskirche ein Bautheil erhalten
geblieben, der mit weitgehender Sicherheit noch
dem VI. Jahrh. zugewiesen werden darf und
damit die so überaus spärliche Zahl der Erst-
lingswerke kirchlicher Baukunst diesseits der
Alpen um ein höchst bedeutsames Beispiel
vermehrt. Bei der Wichtigkeit, die unter diesen
Umständen die überkommenen Nachrichten
für die Datirung besitzen, halte ich es für
richtig, in knappen Umrifslinien die Geschichte
des Gotteshauses vorauszuschicken.

Die Bischofsstadt Chur, die Hauptstadt des
schweizerischen Kantons Graubünden, zählt zu
den ältesten Sitzen christlicher Kultur dies-
seits der Alpen. Nach alter Tradition2) ver-
ehrt die Kirche von Chur ihren Apostel in
dem hl. Lucius. Eine wichtige Stütze findet
diese Ueberlieferung in einer »vita s. Lucii con-
fessoris«, die schon in einem dem IX. Jahrh.
angehörigen Bücherverzeichnifs von St. Gallen
angeführt ist3) und noch jetzt in der dortigen
Stiftsbibliothek aufbewahrt wird.4) Der Werth

1) Toh. Georg Mayer, »St. Luzi bei Chur vom
II. Jahrh. bis zur Gegenwart« Lindau 1876.

2) Ihre verschiedenen Versionen bei Lütolf, »Die
Glaubensboten der Schweiz vor St. Gallus«. Luzern
1871, S. 98.

s) Weidmann, »Geschichte der Stiftsbibliothek
St. Gallen«, S. 3tf5.
*) Coli. Nr. 567.

dieser Handschrift steht um so höher, so bemerkt
Lütolf, als sie mit Rücksicht auf die Festfeier
des hl. Lucius in Chur abgefafst ist.5) Als der
Apostel Paulus, so lautet in ihren Hauptzügen
die Legende, zwei Jahre in Rom gewesen war,
ohne dort wegen der Verblendung der Juden
und Griechen viel ausrichten zu können, wandte
er sich von diesen weg zu den Heiden und
sandte auch seinen Schüler Timotheus nach
Gallien. Nachdem derselbe dort in der Hafen-
stadt Bordoel viele bekehrt hatte, wurde ihm
auf seine Erkundigung nach einem ferneren
Felde der Wirksamkeit Britannien genannt,
wo der König Lucius herrsche. Der Apostel-
schüler begab sich dorthin und predigte in
diesem Lande. Zu König Lucius berufen, legte
er diesem den Zweck seiner Reise dar und es
gelang ihm, den König zum Christenthum zu
bekehren. Mit dem König bekehrt sich auch
sein Volk. Lucius entschliefst sich, den Wander-
stab zu ergreifen, um auch andere Völker für
Christus zu gewinnen. Durch Gallien reist er
nach Augsburg, welches damals noch heidnisch
war. Nachdem er dort viele bekehrt, wandte
er sich auf die Kunde, dafs Rhätien noch sehr
dem Heidenthume ergeben sei, dann nach
Chur. Seine Predigt hatte dort aber zuerst
keinen Erfolg, er bekräftigte sie aber durch
Wunder, und so gelingt ihm die Bekehrung
der Stadt. Darauf geht er auf das Land,
wo er mannigfache Verfolgungen auszuhalten
hat, sogar gesteinigt und in eine Grube
geworfen wird. In dieser finden ihn die
Christen und ziehen ihn halbtodt heraus.
Durch sein Gebet für die Verfolger gewinnt
er alle und wird im Triumphe in die Stadt
geleitet.6)

Hier bricht die Legende ab, ohne über
das Lebensende des Heiligen etwas zu be-
richten. Dafs er aber nicht als Märtyrer ge-
storben ist, geht daraus hervor, dafs er, wie
in seiner vita, so auch in den anderen Be-
richten nur als confessor erscheint.7)

5) Abdruck derselben bei Lütolf a. a. O. S. 115.

c) Zur Kritik dieser Legende und der Identität
des britischen und räthischen Lucius sei verwiesen auf
Lütolf a. a. G. S. 98 ff.

7) Belegstellen bei Lütolf a. a. O. S. 103.
 
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