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Zeitschrift für christliche Kunst — 8.1895

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Beissel, Stephan: Das Reliquiar des hl. Oswald im Domschatz zu Hildesheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.4345#0203

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311

185)5.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE*KUNST — Nr. 10.

312

II. Die Kritik
dieses Reliquiars bietet aufsergewöhnliche
Schwierigkeiten. Kratz schreibt: „Nach der
Schrift sowohl, als nach den Figuren und Orna-
menten ist dieses Monument in'sX.oder Xl.Jahrh.
zu setzen." Er glaubt, es stamme aus England.
„Wohl mit Gewifsheit (sei) anzunehmen, dafs das
Oswald-Reliquiarium schon im XII. Jahrh. im
hiesigen Dome (von Hildesheim) aufbewahrt
wurde." Eine Stütze für seine Behauptung findet
er in einem von Papst Honorius III. am 21. März
1286 ausgestellten Brief, worin am Feste des
hl. Oswald den Besuchern des Domes ein Ab-
lafs gewährt wird. Mithoff »Kunstdenkmale
und Alterthümer im Hannoverschen«, Hannover,
Helwing, 1875, III, 110 schreibt: „Das ursprüng-
lich für eine anglikanische Kirche bestimmte,
später der Hildesheimer Kirche verehrte Reli-
quiar wird dem X. oder XI. Jahrh., die an seiner
Sockelabschrägung sich findende Inschrift in
gothischen Minuskeln einer Restaurirung des-
selben angehören." Ein »Kurzer Führer durch
den Hildesheimer Domschatz« Nr. 23 weist das
Reliquiar dem XII. Jahrh. zu und sagt: „Die
goldene Krone ist aus 8 Platten ganz verschie-
dener Zeit und Arbeit zusammengefügt, in der
heutigen Gestalt sicher erst nach 1454." Schreiber
dieses hat dann in dem Buche »Der hl. Bern-
ward von Hildesheim«, Hildesheim, Lax, 1895
S. 22 Anm. am Reliquiar drei Perioden unter-
schieden. Der achteckige Untersatz mit dem
kuppeiförmigen Dache, seinen Königsfiguren
und den acht halbkreisförmigen Bildchen stammt
aus dem XIII. Jahrh., doch könnte das Band
mit den beiden Versen älter sein. Ein Gold-
schmied hat dann in der zweiten Hälfte des
XV. Jahrh. die gothische, auf die Krone bezüg-
liche Inschrift beigefügt, die 4. Platte der Krone
mit allen 4 Zinken gefertigt und das Haupt in
ziemlich roher Art auf das alte Reliquiar be-
festigt, das ursprünglich wohl mit einem Knauf
(aus Bergkrystall?) endete. Die 7 älteren Platten
der Krone sind Arbeiten des Xl.Jahrh.; ihre
Emailplättchen können deutschen Ursprungs
sein.

Was soll man von der durch Kratz aufge-
stellten, von Mithoff acceptirten Ansicht halten,
das Reliquiar sei in England entstanden
und von dort nach Hildesheim gekommen? Die
von ersterm angeführte Urkunde bietet für seine
Behauptung keinen Beweis, weil sie nur irgend eine
Verehrung bezeugt, der hl. Oswald aber an

vielen Orten verehrt wurde. Ueberdies sollen
die Reliquien des Heiligen 1038 aus England
nach Flandern übertragen worden sein. (Acta
SS. 5. August N. Aufl. II, 88.) Freilich könnte das
Haupt damals in England geblieben sein. Das ist
um so glaublicher, weil es früh an einem andern
Ort aufbewahrt wurde, als der Körper. Fehlt
jeder historische Beweis dafür, dafs das Kunst-
werk aus England stamme, dann bleibt freilich
nur noch die auf demselben gegebene Königs-
reihe und dessen Stil als letztes Mittel, um zu
einem Ergebnifs zu kommen. Sieben der ab-
gebildeten Könige: S. Oswald f 642, S. Aed-
ward f 924, S. Elfred f 899, Aedelwold f 857,
S. Kanut f 103(5, S. Aedelbert f 867, S. Ed-
mund -[- 948 regierten in England. Dagegen
dürfte der letzte doch der 524 getödtete König
Sigismund von Burgund sein. Wäre dies
richtig, so würde darin schon ein Anzeichen
gegen englischen Ursprung des Reliquiars
liegen. Wenn am Ende des XII. Jahrh. die
Aachener auf die Langseite des nach dem
Bericht des Chronisten „von ihnen ver-
fertigten Schreines Karls d. G." eine Reihe
deutscher Herrscher setzten, warum sollten
dann Hildesheimer Kanoniker nicht den Auf-
trag haben geben können, um das Reliquiar
Bilder englischer Könige anzubringen? Der
Stil der Zeichnung spricht nicht gegen deut-
schen Ursprung des Ganzen; er erinnert sogar
einerseits an die Zeichnung und Dekoration
mancher in der Gegend von Hildesheim gra-
virter Siegel des XIII. Jahrh. (z. B. jener der
Aebtissinnen von Quedlinburg), andererseits an
die seit den Tagen Bernwards ebendaselbst gra-
virten Platten, deren Figuren durch theilweises
Stehenbleiben des Silbergrundes und theilweise
Vergoldung belebt wurden. Vgl. „Der hl. Bern-
ward" S. 20, 64 und 6G. Man wird nach Be-
rücksichtigung aller Umstände zuletzt denn doch
noch das Reliquiar als Erzeugnifs eines Hildes-
heimer Goldschmieds ansehen müssen. Ist das
aber der Fall, dann gewinnt die von Kratz an-
gezogene Ablafsbulle von 1286 neue Bedeutung.
Sie zeigt jedenfalls, dafs damals die Verehrung
des hl. Oswald in Hildesheim neuen Aufschwung
nahm. Der romanische Stil hielt sich dort be-
sonders in der Kleinkunst bis tief in's XIII. Jahrh.
Vielleicht entstanden darum die ursprünglichen
Theile dieses merkwürdigen Reliquiars zu Hildes-
heim kurze Zeit vor Erlafs jener Bulle.

Exaeten. Stephan Heisse] S. J.
 
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