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1895. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
378
m Oh
Fig.14.
S. ApolHnare in
Classe zu Ravenna.
Fig. 15.
SS. Quattro-Coro
nati in Rom.
Die inneren Kryptenwandungen sind mit
einem noch wohlerhaltenen, fast stuckartig
glatten Putze versehen. Die Gewölbekämpfer-
linien des Umganges treten gegen die senk-
rechten Mauerllächen um etwa 2 an derart zu-
rück, dafs sich unterhalb derselben eine durch-
laufende, nach aufsen geneigte, etwa li an hohe
Schmiege bildet (vergl. Fig. 1^), eine Erschei-
nung, die mit der Ge-
wölberüstung im Zu-
sammenhang gestanden
haben wird. Im übrigen
enthält die Krypta kein
Detail, welches für ihre
Datirung mit herange-
zogen werden könnte;
neben der Baugestaltung selbst bleiben deshalb
nur die dürftigen Ueberlieferungen, um für die
Datirung einige Anhaltspunkte zu gewinnen.
Von den in der Einleitung mitgetheiltcn
baugeschichtlichen Angaben kamen für die
Frühzeit der Kirche nur zwei Nachrichten in
Betracht: die eine, welche bereits für die Da-
tirung der Osttheile der
Kirche und der West-
krypta verwerthet ist,
und die fernere, die
berichtet, dafs Valen-
tianus an Stelle des
Oratoriums und der
Zelle, die zu Ehren
des hl. Lucius errichtet
waren, eine geräumige
Kirche aufgeführt habe
(amplum eduxit tem-
plum). Zwischen die-
sen beiden Nachrichten
liegt nichts, was mit
einiger Sicherheit auf
einen so durchgreifen-
den Neubau deutet, wie
dieser durch die Luciuskrypta angezeigt ist.
Was wir wissen, spricht vielmehr dagegen.
Als, wie dies mit Wahrscheinlichkeit angenom-
men werden darf, unter Bischof Tello (f 77.'()
die bischöfliche Residenz von Lucius weg nach
der Burg verlegt und dort eine Bischofskirche
erbaut wurde,21) war für Lucius eine Zeit des
Jl) Die der Mutlergottes geweihte Kathedralkirche
von Chur wird urkundlich zuerst in einer von Bischof
Viktor II. im jahre 821 an Kaiser Ludwig den
Frommen gerichteten Bittschrift erwähnt (petimus, ut
Fig. 16
. Prasscde in Rom.
Fig. 17. Grundrifs der Ostkrypta Luciuskrypta.
Niedergangs gekommen, die weder den Wunsch
noch das Bedürfnifs zu umfangreichen Neu-
schöpfungen aufkommen lassen konnte. Der
nur in der Urkunde von 998 erwähnte Besitz
des Klosters Pfüffers würde in dieser Hinsicht
auch dann bedeutungslos sein, wenn die Echt-
heit der Urkunde zweifellos feststände;22) das
Fehlen von jeder weiteren Nachricht und eben-
so der Umstand, dafs
St. Lucius um 1140 in
dem Besitze des Prä-
nic nistratenserordens ist,
spricht aber direkt gegen
die auch im Baube-
stande durch nichts be-
gründete Annahme, dafs
die Benediktiner von Pfüffers in Chur um-
fangreiche bauliche Anlagen geschalten hätten.
Wie die Wahrscheinlichkeit gering ist, dafs die
Schaffung einer würdigen Grabstätte für den
Landesheiligen dem Kloster Pfäffers vorbehalten
geblieben sei und dieses eine Anlage so alter-
thümlichen Gepräges errichtet habe, so würde
es bei einer so weit-
greifenden Bauthätigkeit
der Benediktiner auch
auffallend erscheinen,
dafs die Prätnonstra-
tenser, nachdem sie in
den Besitz von Lucius
gekommen waren, wie-
der zu vollständigen
Neubauten übergehen
mufsten.2")
pro ainore dei digneris ejus-
dem sanclae malris eccle-
siae, cujus te tutorem ac
defensorem ubique scinms
esse promptissimum, advo-
catus esse et judex). Als
Kathedralkirche wird sie aus-
drücklich in der Urkunde
von 831 bezeichnet, womit Ludwig die Kirche von
Chur in seinen Schulz nimmt: sanetae curiensis ec-
clesiae episcopus, quae constat esse consirueta in
honore sanetae Mariae semper virginis, so heilst es
dort (v. Mohr a. a. O. I, Nr. 15 und 20).
--) Die Zweifel gegen die Echtheit beruhen in der
Schlufsformel (vgl. Wegelin, »Die Regesten der Bcne-
diktinerabtei Pfäffers und der Landschaft Sargans«, S. ■!,
Chur 1850); gegen den Inhalt walten keine Bedenken ob
:fl) Aus einer ganzen Reihe von Urkunden geht
hervor, dafs das Kloster im XIII. [ahrh. sehr wenig
begütert war (vgl. z. B. v. Mohr a. a. O. I, Nr. 184
— a. 1215 — und III, Nr. 7 — a. 1251 —). Man würde
1895. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
378
m Oh
Fig.14.
S. ApolHnare in
Classe zu Ravenna.
Fig. 15.
SS. Quattro-Coro
nati in Rom.
Die inneren Kryptenwandungen sind mit
einem noch wohlerhaltenen, fast stuckartig
glatten Putze versehen. Die Gewölbekämpfer-
linien des Umganges treten gegen die senk-
rechten Mauerllächen um etwa 2 an derart zu-
rück, dafs sich unterhalb derselben eine durch-
laufende, nach aufsen geneigte, etwa li an hohe
Schmiege bildet (vergl. Fig. 1^), eine Erschei-
nung, die mit der Ge-
wölberüstung im Zu-
sammenhang gestanden
haben wird. Im übrigen
enthält die Krypta kein
Detail, welches für ihre
Datirung mit herange-
zogen werden könnte;
neben der Baugestaltung selbst bleiben deshalb
nur die dürftigen Ueberlieferungen, um für die
Datirung einige Anhaltspunkte zu gewinnen.
Von den in der Einleitung mitgetheiltcn
baugeschichtlichen Angaben kamen für die
Frühzeit der Kirche nur zwei Nachrichten in
Betracht: die eine, welche bereits für die Da-
tirung der Osttheile der
Kirche und der West-
krypta verwerthet ist,
und die fernere, die
berichtet, dafs Valen-
tianus an Stelle des
Oratoriums und der
Zelle, die zu Ehren
des hl. Lucius errichtet
waren, eine geräumige
Kirche aufgeführt habe
(amplum eduxit tem-
plum). Zwischen die-
sen beiden Nachrichten
liegt nichts, was mit
einiger Sicherheit auf
einen so durchgreifen-
den Neubau deutet, wie
dieser durch die Luciuskrypta angezeigt ist.
Was wir wissen, spricht vielmehr dagegen.
Als, wie dies mit Wahrscheinlichkeit angenom-
men werden darf, unter Bischof Tello (f 77.'()
die bischöfliche Residenz von Lucius weg nach
der Burg verlegt und dort eine Bischofskirche
erbaut wurde,21) war für Lucius eine Zeit des
Jl) Die der Mutlergottes geweihte Kathedralkirche
von Chur wird urkundlich zuerst in einer von Bischof
Viktor II. im jahre 821 an Kaiser Ludwig den
Frommen gerichteten Bittschrift erwähnt (petimus, ut
Fig. 16
. Prasscde in Rom.
Fig. 17. Grundrifs der Ostkrypta Luciuskrypta.
Niedergangs gekommen, die weder den Wunsch
noch das Bedürfnifs zu umfangreichen Neu-
schöpfungen aufkommen lassen konnte. Der
nur in der Urkunde von 998 erwähnte Besitz
des Klosters Pfüffers würde in dieser Hinsicht
auch dann bedeutungslos sein, wenn die Echt-
heit der Urkunde zweifellos feststände;22) das
Fehlen von jeder weiteren Nachricht und eben-
so der Umstand, dafs
St. Lucius um 1140 in
dem Besitze des Prä-
nic nistratenserordens ist,
spricht aber direkt gegen
die auch im Baube-
stande durch nichts be-
gründete Annahme, dafs
die Benediktiner von Pfüffers in Chur um-
fangreiche bauliche Anlagen geschalten hätten.
Wie die Wahrscheinlichkeit gering ist, dafs die
Schaffung einer würdigen Grabstätte für den
Landesheiligen dem Kloster Pfäffers vorbehalten
geblieben sei und dieses eine Anlage so alter-
thümlichen Gepräges errichtet habe, so würde
es bei einer so weit-
greifenden Bauthätigkeit
der Benediktiner auch
auffallend erscheinen,
dafs die Prätnonstra-
tenser, nachdem sie in
den Besitz von Lucius
gekommen waren, wie-
der zu vollständigen
Neubauten übergehen
mufsten.2")
pro ainore dei digneris ejus-
dem sanclae malris eccle-
siae, cujus te tutorem ac
defensorem ubique scinms
esse promptissimum, advo-
catus esse et judex). Als
Kathedralkirche wird sie aus-
drücklich in der Urkunde
von 831 bezeichnet, womit Ludwig die Kirche von
Chur in seinen Schulz nimmt: sanetae curiensis ec-
clesiae episcopus, quae constat esse consirueta in
honore sanetae Mariae semper virginis, so heilst es
dort (v. Mohr a. a. O. I, Nr. 15 und 20).
--) Die Zweifel gegen die Echtheit beruhen in der
Schlufsformel (vgl. Wegelin, »Die Regesten der Bcne-
diktinerabtei Pfäffers und der Landschaft Sargans«, S. ■!,
Chur 1850); gegen den Inhalt walten keine Bedenken ob
:fl) Aus einer ganzen Reihe von Urkunden geht
hervor, dafs das Kloster im XIII. [ahrh. sehr wenig
begütert war (vgl. z. B. v. Mohr a. a. O. I, Nr. 184
— a. 1215 — und III, Nr. 7 — a. 1251 —). Man würde