Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 34.1921

DOI Heft:
Heft 4-5
DOI Artikel:
Beitz, Egid: Rupertus von Deutz und die Skulpturen einer Siegburger Kathedra
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4344#0073

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
62

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 4/5

Offenbar hat der Bildhauer die stilistischen Motive aus verschiedenen Bild-
werken zusammengetragen, wie wohl auch die Vermutung Beisseis richtig ist,
daß das ikonographische Motiv auf ein sehr altes Vorbild zurückgeht39.

Der Kopf der Madonna an der Kathedra hat als Vorbild für den Kopf der
Muttergottes auf dem Oberpleiser Relief gedient. Die Gesichtsbildung, die ge-
scheitelten Haare, die in Wellen auf den Rücken niederfallen, die Krone mit den
beiden Rillen am Reif und den vier Zinken, die durch Stege über den Kopf zu
einem Kreuz verbunden sind, alles das stimmt so deutlich miteinander überein,
daß an einer Entlehnung nicht zu zweifeln ist. Natürlich ist unter der Hand
des Bildhauers in Oberpleis alles viel gröber geworden. Im Vergleich mit diesem
Werk lernt man erst recht die Fragmente des Michaelsberges schätzen.

In den Oberpleiser Skulpturen sind nur stilistische Zusammenhänge mit
dem Siegburger Werk festzustellen. Dagegen gibt es ein anderes Mutter-
gottesbild, das nicht stilistisch sondern gedanklich der Siegburger Madonna
sehr nahe steht. Es handelt sich um die „Vierge de Dom Rupert" aus
St. Laurentius in Lüttich, jetzt dort im Museum40. Die Legende erzählt,
daß Rupertus, der in seiner Jugend beschränkten Geistes gewesen sei, im

, Gebet vor diesem Bilde seine glänzenden Geistesgaben empfangen habe41.
Die Erzählung ist schon aus dem Grunde Legende, weil die Steinskulptur
erst um 1200 entstanden sein kann. Die Legende wird jedoch nicht völlig

y Erfindung sein. Den Sinn des Madonnenbildes erklärt die Inschrift auf der
Umrandung: Porta hec clausa erit, non aperietur et vir non transibit per
eam, quoniam Dominus Deus ingressus est per eam. Diese Worte entstammen
Ezechiel 44, 2. Es ist die bekannte Stelle, die auf die Muttergottes als
die verschlossene Pforte gedeutet wird. Der biblische Text lautet weiter:
Die Pforte „soll verschlossen bleiben selbst für den Fürsten. Doch mag
der Fürst davor sitzen, das Brot vor dem Herrn zu verzehren". Rupertus
nennt in seinem Ezechielkommentar (cap. XXXII) die Jungfräulichkeit der
Muttergottes „den höchsten Glanz in der ganzen Schönheit des katholischen
Bekenntnisses". Er deutet dann aus, wie der Fürst, der vor der verschlos-
senen Pforte sitzt, göttlicher Natur ist, der sich zur Knechtsgestalt erniedrigt
hat, um das Brot vor dem Herren zu verzehren. Er ist damit Gott dem
Vater gehorsam, denn er spricht nach seinem eigenen Zeugnisse vom Brot-
essen, wenn er sagt: Meine Speise ist es, wenn ich den Willen meines Vaters
tue. Den Willen des Vaters erfüllte natürlich hier Christus nach der allge-
meinen Lehre, indem er Mensch wurde. Damit ist an sich schon das
mystische Idyll der Lütticher Madonna aus dem Gedankenkreis des Rupertus
heraus erklärt. Es lebt aber auch in der Art, wie Maria im Mantel das
Jesuskind an sich zieht, wie sie sich zu ihm hinneigt, wie das Kind auf-
blickt und ihre Brust ergreift noch die ganze Fülle der Symbolik, die vor-
hin aus Ruperts Kommentar zum Hohen Liede für die Siegburger Madonna
entwickelt wurde. Mutter und Kind suchen fast noch weniger eine Ver-

89 Beissei, S. 76. Auf orientalische Darstellungen, wie sie das dort S. 75 ab-
gebildete Olfläschchen aus Monza enthält, geht die Anbetung der Könige in Gustorf
(Abb. Klein, Taf. XV) zurück.

40 Abbildung bei Heibig, Taf. VI u. Beißel, S. 103.

41 Beißel, S, 102; Rocholl, S. 327f.
 
Annotationen