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Zeitschrift für christliche Kunst — 34.1921

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Heft 4-5
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Beitz, Egid: Rupertus von Deutz und die Skulpturen einer Siegburger Kathedra
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https://doi.org/10.11588/diglit.4344#0074

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Nr. 4,5 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST £)3

bindung mit den Menschen, die vor sie hintreten, wie die Siegburger Ma-
donna. Es geht mir zu weit, wenn Witte42 von der Lütticher Madonna sagt,
sie „nähre" das Kind. Ein solches, die irdische Mutterschaft zu stark be-
tonendes Motiv hat der Künstler weise vermieden. Gewiß ist das Bildwerk
in seiner aufblühenden Körperlichkeit viel näher der Erde als die Siegburger
Madonna; aber wenn das Kind hier auf die freie Brust der Mutter durch
die Art, wie es sie anfaßt, gewissermaßen hinweist, dann deutet es damit
eins der vier Heilsbegebnisse an, die Menschwerdung. Im Grunde ist dieses
Motiv nahe verwandt dem Emporhalten des Apfels bei der Siegburger
Madonna. Einmal ist durch den Apfel, das andere Mal durch die Brust
der Muttergottes das Wort der Heiligen Schrift versinnbildlicht, das auch
Rupertus an beiden Stellen hervorhebt: Meine Speise ist es, daß ich den
Willen meines Vaters tue, d. h. daß ich Mensch werde und bin. Dazu
gehört auch das Genährtwerden an einer Mutterbrust. Aber dieses irdisch-
natürliche Motiv steht durchaus nicht im Vordergrunde. Es klingt aus dem
Gedankenkreise des Rupertus nur leise herüber. Wenn darum solche Dar-
stellungen wie die Lütticher einen entscheidenden naturalistischen Zug in
die Madonnenauffassung der Zeit hineingetragen haben sollten, dann könnte
das nur dadurch möglich gewesen sein, daß ihr eigentlicher hoher Sinn
völlig verkannt worden wäre. Das hier maßgebende Motiv, das Mutter und
Kind zueinander in Beziehung bringt, ist allem Irdischen entrückt.

Die Lütticher Madonna ist ein Beweis dafür, daß noch um 1200 Ru-
pertus und seine Werke im Laurentiuskloster lebendig waren. Man kann
darum der Bezeichnung des Bildwerkes als „Vierge de Dom Rupert" bei-
pflichten, wenn auch in anderm Sinne als die Legende es möchte.

Handschriften von Ruperts Kommentar zum Hohen Liede, die etwa in
ihren Illustrationen zu der vorliegenden Untersuchung noch Material hätten
bieten können, sind mir nicht bekannt geworden. Selbst wenn Bilderhand-
schriften davon existierten, wäre es noch sehr fraglich, ob sie zur Erklärung
eines plastischen Kunstwerkes Ausbeute lieferten. Das haben die bebilderten
Handschriften zum Hohen-Lied-Kommentar des Honorius Augustodunensis
gezeigt. Sie sind für die Erklärung des St. Jakobsportals zu Regensburg,
das wahrscheinlich in seinem plastischen Schmuck darauf zurückgeht, so
gut wie ohne Bedeutung gewesen43. Miniaturen zu dem Honoriuskommentar
sind insofern hier von Belang als dort Maria-Sulamith dargestellt ist, wie
sie von zwei Rossen in einem Wagen gezogen wird, dessen Räder die Evan-
gelistensymbole sind. Sehr verwandt ist damit der Wagen des Aminadab
von Suger von St. Denis, in dem sich statt Sulamith der Heiland befindet44.
Sugers Auffassung ist die ältere. In den Miniaturen bekundet sich daher
auch die Wandlung eines christologischen Motivs nach dem mariologischen
hin, ähnlich wie bei der Plastik in Siegburg. Dies hängt zusammen mit
einem Umschwung in der Deutung des Hohen Liedes zur damaligen Zeit.

42 S. 34.

Endres, Das St. Jakobsportal in Regensburg und Honorius Augustodunensis.
Kempten 1903. S. 32 ff.

44 Endres, Taf. 4; Male, L'art religieux du XIII. siecle en France, Paris 1910, S. 206
und Abb. 94; Neuß, S. 243f.
 
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