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Zeitschrift für christliche Kunst — 34.1921

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Heft 10-11
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Moses, Elisabeth: Pflanzendarstellungen in der deutschen Kunst des XIV. und XV. Jahrh., ihre Form und ihre Bedeutung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4344#0170

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158

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

Nr. 10/11

Abb. 1.
Pilzbaum aus cod. (at.
4453, Mündien, Staats-
bibliothek.

%

das sich vielmehr aus einzelnen Elementen zusammensetzt, die teils Er-
innerungsbilder der Natur, teils älteren Darstellungen entlehnt sind. Man
arbeitet mit primitivsten Vorstellungsbegriffen: Der Baum besteht aus kurzem,
dickem Stamm und großen, frontal aufgeklappten Blättern, eine Darstellungs-
art, die schon bei den Assyrern4 auftritt und sich das ganze
Mittelalter hindurch hält. Einige wenige ■ Typen kehren
immer wieder: der Lorbeerbaum, der Ölbaum, die Eiche,
die Palme und der Weinstock. Eichen- oder Akanthus-
blätter auf der linken, Feigenblätter auf der rechten Seite
charakterisieren das Gute und das Böse beim Baum der
Erkenntnis. Neben Akanthusblättern,
die auch aus den Ecksäulen hervor-
kommen und wohl römischer Kunst
entnommen sind, Ranken mit herz-
förmigen Blättern und solchen mit
Lilienblüten, dient hauptsächlich ein
Baum mit sreng symmetrischer Be-
handlung - symbolisch als Baum des
Lebens zu denken - zur Füllung der kleinen Felder.
Der Wille zur Stilisierung in der Fläche, der sich
hier immer mehr bemerkbar macht, zeigt sich noch
stärker in der byzantinischen Kunst, soweit orien-
talische Elemente in den Vordergrund treten. So tritt
in der „Wiener Genesis"5, die wohl am stärksten die

Mischung von hellenistischer und
orientalischer Kunst repräsentiert,
neben Formen, die sich noch an
die Natur anlehnen (fol. I), ein
Baumtypus mit pilzförmigen Kup-
peln, die durch helle Punkte be-
lebt werden, und ein anderer, von
Brinckmann6 „Lanzettbaum" ge-
nannt. Der Baum deutet ganz

allgemein die Landschaft an. Dekorativ erfüllt er die
Aufgabe der Szenenteilung und der Verbindung der in
Streifen übereinander angeordneten Szenen. Selten er-
scheinen Blumen. In den schwanken Stengeln mit den
tulpen- oder rosenartigen Blüten macht sich weder Natur-
Ranke aus cod. lat. 15902, beobachtung noch bewußte Stilisierung geltend. - Zu
Mündien, Staatsbibliothek, den alten Typen treten in der karohngischen Kunst

Abb. 2.
Baum aus cod. lat. 4453,
Mündien, Staatsbibliothek.



4 Assyrische Vase, Abbildung bei Julius Lessing, „Mittelalterliche Zeugdrucke",
Jahrbuch der königlich preußischen Kunstsammlungen, Bd. I, Berlin 1880, S. 119.

5 Wickhoff, „Die Wiener Genesis". Wien 1895. Als weitere Beispiele wären zu
nennen: die ältere und jüngere Vergilhandschrift (Vat. lat. 3225, aus dem IV Jahrh., und
lat. 3867, aus dem V. Jahrh.).

6 Brinckmann, „Baumstilisierungen in der mittelalterlichen Malerei", Straßburg
1906, von dem ich auch die andern Baumbezeichnungen übernehme.
 
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