DOI Artikel:
Hirsch, Fritz: Zum Geleit
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.19218#0013
I. Jahrgang. Heft 1. Oktober 1907.
Zum Geleit.
Es sind jetzt 120 Jahre her, da schrieb Gcethe: «Wieviel tat Winekelmarm nicht,
und wieviel ließ er uns zu wünschen übrig!» Gcethe selbst hat unserer Wissenschaft
Dienste geleistet, die wir nicht mehr missen können. In hundertjähriger stetiger
und stetig wachsender Kratertätigkeit hat sich seither über die Bauwerke aller Zeiten
und aller Länder ein Lavastrom wissenschaftlicher Betätigung ergossen, von dessen
Mächtigkeit wir uns nur schwer eine Vorstellung machen können. Berge von Gelehr-
samkeit türmen sich auf zwischen den Bauwerken und denjenigen, die sie betrachten
wollen, ungezählte Zeitschriften fahren täglich neues Material an. Ist angesichts einer
solchen Erkenntnis die Gründung einer neuen Zeitschrift nicht Sünde? Es wäre
Sünde, wenn ich die Materie vermehren wollte, es ist nicht Sünde, wenn sich
meine Hoffnung erfüllt, daß das neue Element, in der vorhandenen Materie sich auf-
lösend, diese klärt.
Alle Bauzeitungen beschäftigen sich, die eine mehr, die andere weniger, auch
mit der Geschichte der Architektur. Im Vordergrund des Interesses aber steht die
Architektur von heute, das Bauwesen vom Tage in technischer, in künstlerischer und
in wirtschaftlicher Beziehung. Auch nimmt bei vielen Bauzeitungen die Hälfte des
Raumes die Ingenieurwissenschaft ein, das Erbe jener Zeit, da Hoch- und Tiefbau im
Studium und in der Praxis vereint waren. Vereinsberichte, Standesinteressen und Per-
sonalia gehören weiter zum eisernen Bestand der Bauzeitungen. Was Wunder, wenn
unter dem Einfluß einer so erdrückenden A^ielgestaltigkeit des zu bewältigenden Stoffes
die Geschichte der Architektur nur eine stiefmütterliche Behandlung erfährt! Der in
der Praxis stehende Techniker wird in den sporadisch auftretenden Aufsätzen archi-
tekturgeschichtlichen Inhaltes eine angenehme Unterbrechung seiner eigentlichen Berufs-
tätigkeit, eine erfrischende Exkursion erblicken. Für den Architekturhistoriker bedeutet
der wesentliche Inhalt der Bauzeitungen einen Ballast, um dessentwillen er in vielen Fällen
Zeitschrift für Geschichte der Architektur. I. 1
Zum Geleit.
Es sind jetzt 120 Jahre her, da schrieb Gcethe: «Wieviel tat Winekelmarm nicht,
und wieviel ließ er uns zu wünschen übrig!» Gcethe selbst hat unserer Wissenschaft
Dienste geleistet, die wir nicht mehr missen können. In hundertjähriger stetiger
und stetig wachsender Kratertätigkeit hat sich seither über die Bauwerke aller Zeiten
und aller Länder ein Lavastrom wissenschaftlicher Betätigung ergossen, von dessen
Mächtigkeit wir uns nur schwer eine Vorstellung machen können. Berge von Gelehr-
samkeit türmen sich auf zwischen den Bauwerken und denjenigen, die sie betrachten
wollen, ungezählte Zeitschriften fahren täglich neues Material an. Ist angesichts einer
solchen Erkenntnis die Gründung einer neuen Zeitschrift nicht Sünde? Es wäre
Sünde, wenn ich die Materie vermehren wollte, es ist nicht Sünde, wenn sich
meine Hoffnung erfüllt, daß das neue Element, in der vorhandenen Materie sich auf-
lösend, diese klärt.
Alle Bauzeitungen beschäftigen sich, die eine mehr, die andere weniger, auch
mit der Geschichte der Architektur. Im Vordergrund des Interesses aber steht die
Architektur von heute, das Bauwesen vom Tage in technischer, in künstlerischer und
in wirtschaftlicher Beziehung. Auch nimmt bei vielen Bauzeitungen die Hälfte des
Raumes die Ingenieurwissenschaft ein, das Erbe jener Zeit, da Hoch- und Tiefbau im
Studium und in der Praxis vereint waren. Vereinsberichte, Standesinteressen und Per-
sonalia gehören weiter zum eisernen Bestand der Bauzeitungen. Was Wunder, wenn
unter dem Einfluß einer so erdrückenden A^ielgestaltigkeit des zu bewältigenden Stoffes
die Geschichte der Architektur nur eine stiefmütterliche Behandlung erfährt! Der in
der Praxis stehende Techniker wird in den sporadisch auftretenden Aufsätzen archi-
tekturgeschichtlichen Inhaltes eine angenehme Unterbrechung seiner eigentlichen Berufs-
tätigkeit, eine erfrischende Exkursion erblicken. Für den Architekturhistoriker bedeutet
der wesentliche Inhalt der Bauzeitungen einen Ballast, um dessentwillen er in vielen Fällen
Zeitschrift für Geschichte der Architektur. I. 1