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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 1.1907/​8

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Zemp, Josef: Die Kirche von Romainmôtier
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https://doi.org/10.11588/diglit.19218#0112

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100 Josef Zemp.

mit Nebenchören».1 Von Cluny aus wäre diese Chorgestaltung zunächst auf nähergelegene
«Tochterkirchen», wie Auzy-le-Duc, Payerne und Romainmötier, übergegangen und hätte
sich dann in weiterem Umfange der cluniacensischen Einflußsphäre verbreitet: deutlich
nachweisbar an der normannischen Kirche von Bernay und in den deutschen Klöstern
der Hirsauer Schule.2

Die Qualität der angerufenen Zeugen ist freilich ungleich. So muß bei der
.Berufung auf die Kirche von Payerne Vorsicht walten, da die östlichen Teile in ihrer
heutigen Gestalt wohl erst um 1130 errichtet wurden3, wobei die Wiederholung eines
älteren Chorschemas allerdings recht wahrscheinlich ist.

Sichten wir die ganze Zeugenreihe, so muß ohne Zweifel die flachgedeckte Kirche
von Romainmötier mehr als irgendein anderer Bau für den Verlust der «zweiten»
Kirche von Cluny aufkommen. Sie ist, als ein direkt von Odilo angeordnetes Werk,
für die Frühzeit des elften Jahrhunderts der Cluniacenserbau par excellence. Es ver-
dient in diesem Zusammenhang Beachtung, daß in Romainmötier die 'sonst als ein
Bestandteil des «Cluniacenserschemas» angenommenen, direkt an die Ostseite der Quer-
hausflügel anschließenden Apsiden fehlen. Nicht auf diese, sondern auf den stark ver-
breiteten rechteckigen Chorraum kommt es an.

I). Die Kirche des Odilo wurde vielleicht ein halbes Jahrhundert nach ihrer Voll-
endung, also unter dem großen Cluniacenser-Abte Hugo (1049 — 1109) gewölbt. Das
System dieser romanischen Gewölbe ist eigenartig: gurtenlose, rundbogige Tonnengewölbe
werden von rundbogigen Stichkappen angeschnitten, dergestalt, daß die Tonnen sich
nicht in durchgehender Wagrechte, sondern mit einer Bogenreihe aus den Wänden
lösen. Diese romanischen Gewölbe sind in den Seitenschiffen vollständig erhalten. Die
Gewölbezwickel ruhen hier an den Umfassungsmauern auf breiten, vom Boden auf-
steigenden Vorlagen (Abbildung 2). In den Seitenschiffen zeigte sich nach der Ent-
fernung des Verputzes auch die Art der Herstellung dieser Gewölbe : sie sind in Bruchstein,
mit reichlichem Mörtel, über eine Plolzschalung gemauert worden; die Stichbögen
wurden jedenfalls rein empirisch durch Anschiftung auf der rundbogigen hölzernen
Lehrtonne gewonnen.

Auch im Querschiff und im alten Chore blieben die romanischen Gewölbe un-

1 Dehio und v. Bezold, I, S. 271. — Dagegen die einschränkende Bemerkung von Sacfcur, I, S. 375.

2 Ober diese: C. H. Baer: Die Hirsauer Bauschule. Freiburg i. B. und Leipzig 1897.

3 Die Baugeschichle der Kirche von Payerne (Peterlingen) hegt noch im argen. Vorläufig ist zu
verweisen auf: J. R. Rahn, L'eglise abbatiale de Payerne, Lausanne 1893, und den Abschnitt in der Arbeit
von Emma Reinhart. — Der älteste Teil, zweite Hälfte des zehnten Jahrhunderts, ist der Westhau, der
sogenannte St. Michaelsturm, zweistöckig angelegt und ursprünglich im oberen Geschoß (Michaelskapelle)
ilachgedeckt. An den Michaelsturm schloß sich, wie ich aus den Resten an seiner Ostseite mit Sicherheit
glaube nachweisen zu können, ein flachgedecktes dreischiffiges Langhaus an. Dieses wurde etwa um 1100
abgebrochen und durch das gegenwärtige, bedeutend höhere Schiff ersetzt. Dieses ist im Mittelschiff mit
einer von Gurten unterzogenen Rundtonne, in den Seitenschiffen mit rippenlosen Kreuzgewölben bedeckt.
Doch besaß dieses Schiff, wie ich glaube, noch nicht die Länge des heutigen: das erste östliche Joch des
heutigen Schiffes muß die Vierung der Kirche von ca. 1100 gewesen sein. Erst später, nach meiner
Schätzung etwa um 1130, wurde die Anlage ostwärts verlängert und mit dem heutigen Querhaus und Chor
versehen, wo die rippenlosen Kreuzgewölbe vorherrschen. Nur der Vierungsturm wurde vorerst wohl noch
flach gedeckt; das heutige Rippengewölbe über der Vierung mag aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderls
stammen. — Alle diese Angaben wären noch näher zu begründen, doch empfiehlt es sich, die Gelegenheit
einer Restaurierung abzuwarten, die mit Ausgrabungen zu verbinden wäre.
 
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