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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 1.1907/​8

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Zemp, Josef: Die Kirche von Romainmôtier
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https://doi.org/10.11588/diglit.19218#0114

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102 Josef Zemp.

Teile dieser Halbsäulchen bei näherer Betrachtung als die Reste romanischer Dienste
zu erkennen, wie solche in Querschiff und Chor vollständig erhalten sind (Abbildung 2,
vergl. Abbildung 5 und 7). Also war auch im Mittelschiff die romanische "Wölbung
ausgeführt oder zum mindesten doch begonnen worden. Die Rekonstruktion begegnet
nun aber einer gewissen Schwierigkeit zufolge der Beschaffenheit der Westwand. Dort
gibt es ein auffallend hoch gelegenes, vermauertes und vom gotischen Rippengewölbe
überschnittenes Fenster (Abbildung 2). Die Westwand wurde nach der Ausführung
des gotischen Gewölbes im 13. Jahrhundert weiß getüncht und mit den Gestalten der
Erzengel bemalt; auf die Vermauerung jenes Fensters kam ein Agnus-Dei zu stehen
(Abbildung 8). Nun aber liegt unter dieser Malerei des 13. Jahrhunderts eine ältere,
vor Erstellung des Rippengewölbes ausgeführte Dekoration: ein System roter
Fugen, in welchem jenes vermauerte Fenster mit einer besonderen Umrahmung ausge-
zeichnet ist. Dieses Fenster war also vor der Erstellung des gotischen Rippengewölbes
in der Kirche sichtbar. Wie reimt sich das mit dem romanischen Gewölbesystem? Es
gibt wohl nur zwei Möglichkeiten: entweder war das romanische Tonnengewölbe auf-
fallend hoch gelegen (Abbildung 4, rechts) oder es wurde überhaupt nicht in Stein
ausgeführt, sondern etwa durch eine im Dachstuhl angeschlagene Holztonne ersetzt,
ähnlich wie es an der 1080 gegründeten und dem Abte Hugo von Cluny übergebenen
Kirche von Rougemont im oberen Saanetale beobachtet wurde.1 .

Ich gebe der ersteren Annahme den Vorzug und glaube, das Gewölbe sei wirk-
lich ausgeführt gewesen. Aber schon im 13. Jahrhundert müssen statische Bedenken
zum Ersatz durch ein gotisches Rippengewölbe gedrängt haben. So erklärt sich denn
auch die Verschiedenheit der Sargmauern des Mittelschiffes. Während nämlich die süd-
liche ihren romanischen Bestand samt den Blendbogen bewahrt hat (Abbildung 6), zeigt
die nördliche ein glattes Mauerwerk (Abbildung 3). Offenbar hat der Seitenschub des
hochgelegenen Tonnengewölbes die Nordseite besonders stark angegriffen, so daß sie bei
der Ausführung des gotischen Rippengewölbes erneuert werden mußte. — Sogar in den
Seitenschiffen verursachten die romanischen Tonnengewölbe später schwere Sorgen. Zwar
erfolgte die Verstärkung der Umfassungsmauern mit einer an der Innenseite noch im
Mittelalter angelegten Böschung wohl nicht mit Hinsicht auf den Seitenschub der
Gewölbe, sondern aus anderen Gründen (Abbildung 2). Um so wuchtiger gerieten aber
die Strebemauern, welche die Berner Landesherren seit dem 16. Jahrhundert an der
gefährdeten und schon stark aus dem Lot gewichenen Nordmauer erstellten (Plan, Ab-
bildung 1, und Querschnitt, Abbildung 2). Heute, da die Berner Strebemauern entfernt
sind, muß das nördliche Seitenschiff durch starke Zugstangen gesichert werden.

Was den romanischen Meister zu der Wahl seines konstruktiv so bedenklichen
Gewölbesystems führte, ist ohne Zweifel die Rücksicht auf die Beleuchtuug gewesen.
Größere, in guter Höhe liegende Fenster in den Seitenschiffen und vor allem eine
selbständige «basilikale» Beleuchtung des Mittelschiffes, das waren die großen Vorteile,
die man hier durch Anwendung von Stichbogen erzielte. Damit wurde eine Neuerung
in das südfranzösische System der Tonnengewölbe gebracht. In der flachgedeckten
Kirche des Odilo war die «basilikale» Lichtführung schon gegeben; es galt nun, sie
auch in der Gewölbekirche beizubehalten. So ist es hier zum Greifen deutlich, wie der
Meister zur Umgestaltung des der Oberlichter entbehrenden südfranzösischen Gewölbe-

1 Vergl. meine Notiz bei Emma Pieinhart, a. a. 0.; S. 69.
 
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