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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

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Thiersch, Hermann: Antike Bauten für Musik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.19219#0093

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Antike Bauten für Musik. 79

(Abb. 22 und 23). Von dem feinen Fries mit des Dionysos' Abenteuer unter den Seeräubern
vermutet man ja längst mit Kecht, daß er sich auf den Inhalt des Preisliedes bezieht,
dem das ganze Anathem seine Existenz zu verdanken hatte. Die Abweichungen vom
kanonischen Mythos sind also auf Rechnung der musikalischen Komposition, nicht
auf die des Bildhauers zu setzen, der jene nur illustrierte (vergl. Reisch, Griech. Weih-
geschenke, S. 152).

Wir haben also sicher vier (Sparta, Delphi, Argos, Athen), wahrscheinlich (mit den
archaischen Tholoi in Delphi und Athen) schon sechs Rundbauten, die bestimmt für
musikalische Aufführungen errichtet waren, welche uns den älteren Typus des griechischen
Odeions, die Bautradition des 6. und 5. Jahrhunderts, hierfür repräsentieren.

—Unmittelbar an diese Bauten als an ihre Vorgänger schließt sich nun die Tholos
von Epidauros an. Auch hier, im heiligen Bezirk, gab es (von ca. 400 ab) musische
Agone, von denen man ebenfalls ohne weiteres annimmt, sie hätten im Theater statt-
gefunden. Alles scheint mir dagegen zu sprechen. Wenn, was durchaus wahrscheinlich
ist, der Entwurf sowohl zur Tholos wie zum Theater gleichzeitig ist der großen Neu-
ordnung der großen Asklepieien und damit der Einführung der musischen Agone in
Epidauros, dann fallen diese Entwürfe in eine Zeit, die fast ein volles Jahrhundert vor
dem Zeitpunkt liegt, da es Sitte ward, musikalische Aufführungen im Theater zu produ-
zieren. Und wenn ferner Konzeption zu Theater und Tholos nicht nur gleichzeitig
sind, sondern auch noch von ein und demselben Architekten, Polyklet, herrühren,
dann ist es vollends klar, daß die «Thymele» neben dem Theater noch ihre besondere
Bestimmung zu erfüllen hatte, und das kann keine andere gewesen sein als eben den
Aufführungen zu dienen, die man, seit sie im Theater heimisch geworden waren, dort
drüben noch, eben nach ihrer alten Provenienz, die «thymelischen» nannte. Diese Veran-
staltungen waren aber keine anderen als die alten musischen, die musikalischen. Siehe
besonders Joh. Frei, De certaminibus thymelicis, Diss. Basil. 1900, p. 12 ff.

Das Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. bedeutet, wie schon erwähnt, das Ende
der klassischen Musik Altgriechenlands. Und dies Ende kam eben mit der Verlegung
der musikalischen Aufführungen ins Theater. Aristoxenos ist ein Zeitgenosse der epi-
daurischen Tholos, und es wird kein Zufall sein, daß dieser vollendetste Bau, den
die Antike vielleicht jemals für die Tonkunst geschaffen, eben in jenen Jahren fertig
wurde, als jener größte Theoretiker der antiken Musikgeschichte daran ging, sein
System niederzuschreiben, nach Westphal (Die Musik des griech. Altertums, S. 182)
zwischen 335 und 322 v. Chr. Auch in die Lebenszeit Piatos müssen die Anfänge der
Tholos noch hinaufreichen, und wenn irgend einer, so muß ein solcher Bau den Ideen
des Philosophen entsprochen haben, der wie kein anderer ein Verehrer der alten hehren
Musik ihr eine Hauptrolle in seinem Idealstaate angewiesen hat. Die Tholos von Epi-
dauros ist ein echtes Erbe platonischen Geistes. Aristoxenos' vermischte Tischreden sind
ein klassisches Zeugnis für die Stimmung in jener kritischen Zeit, für die Gefühle derer,
welche die Verwilderung und Verflachung der alten Musik durch ihre Verpflanzung ins
Theater, ihr Exponieren der großen Menge gegenüber, mit Sicherheit voraussahen. Die
Modernen von damals mit ihrer chromatischen, bunt schillernden Tonmalerei waren die
Wagnerianer der Antike.1 Es war ein Umschwung und ein Kampf der Geister ähnlich

1 Es war, wie Graf a. a. 0. treffend ausfuhrt, eine schon alte Antagonie, die endlich nun zum Austrag kam:
Saiteninstrumente und Blasinstrumente, Apollinisches und Dionysisches, europäische acutcpooövY] und asiatisch
hetäuhende Phantastik.
 
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