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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0029
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stft k.



Zeit bedurfte, um sich zu sammeln, statt ihrer nahm
jetzt der Herr, der ihr gegenüber saß, das Wart.
„Sie haben den Brief der Frau Baronin erhalten,
Fräulein Müller," sagte er, sich aus der nachlässigen
Haltung, mit welcher er in dem Lehnsessel geruht
hatte, ein wenig erhebend, „Ihr Pünktliches Erscheinen
hier beweist, daß Sie nullens sind, die Stellung als
Gesellschafterin der Frau Baronin unter den Be-
dingungen, welche an Sie gestellt werden, anzunehmen.
Es wird sich daher jetzt nur noch fragen, ob Sie die
Befähigung besitzen, diese Stellung genügend auszu-
füllen."
„Bitte, Herr Geheimrath, wollen Sie es nicht meiner
Schwägerin überlassen, selbst mit dem Fräulein zu
unterhandelnd" fiel die kleine Dame, den Redenden mit
scharfem Tone unterbrechend, ein.

„Sollte die Zurechtweisung ganz am Platze sein,
gnädige Frand" erwiederte der alte Herr, sich schnell
zu der Dame wendend; er schaute diese über die ihm
tief auf der Nase sitzende Brille fort mit einem durchaus
nicht freundlichen Blicke an. „Ich Pflege mich nicht
in fremde Angelegenheiten zu drängen," fuhr er fort,
„aber wenn ich in diesem Falle für die Frau Baronin
spreche, so erfülle ich nur die Pflicht des Hausarztes.
Frau Baronin ist zu angegriffen, um selbst die Fragen
zu stellen, welche doch wohl unerläßlich sind, ehe eine
definitive Entscheidung getroffen werden kann."
„Die Sie Wohl schon getroffen haben, denn von
Ihnen geht ja die ganze thörichte Idee aus, daß meine
Schwägerin sich mit dem unnützen Ballast einer Ge-
sellschafterin belasten soll."
„Einer Gesellschafterin und Pflegerin, gnädige Frau!
Ich meine, daß der Hausarzt wohl am
besten zu beurtheilen vermag, ob die
Patientin einer Pflegerin bedarf; weiter
aber geht meine Machtvollkommenheit
nicht, die Entscheidung über die Wahl
der Person steht selbstverständlich ganz
allein der Frau Baronin zu; ich würde
es kaum gerechtfertigt finden, wenn ich
auch nur einen Rath ertheilen wollte."
„Doch, Herr Geheimrath, ich bitte
nm Ihren Rath, Sie wissen, ich lege
hohen Werth auf denselben," sagte jetzt
die Baronin, die durch den kleinen, in
ihrer Gegenwart abgespielten Streit Zeit
gewonnen hatte, sich zu fassen. Sie schaute
noch immer Helene mit einem Blick an,
in welchen: sich das höchste Interesse
aussprach; auch während sie ihre Worte
an den Geheimrath richtete, sah sic nicht
ihn, sondern nur Helene an, jeden Zug
des reizenden Gesichtes schien sie in sich
aufnehmen, tief in ihre Erinnerung ein-
prägen zu wollen, so aufmerksam und
forschend betrachtete sie dasselbe.
„Wer könnte mir wohl besser Rath
ertheilen, als Sie," so fuhr die Baro-
nin fort; „ich werde Sic daher sicherlich
nm denselben bitten, wenn ich mir auch
die eigene Entscheidung Vorbehalte, nach-
dem ich selbst mit den: Fräulein ge-
sprochen habe; ich fühle mich hiezu jetzt
vollkommen befähigt." Sie schwieg einen
Moment, dann richtete sie ihre Worte,
in einen: viel milderen Tone als vorher
bei der ersten Anrede, an Helene.
„Ich freue mich, Fräulein, daß Sic
sich durch meinen Brief nicht haben
zurückschrecken lassen, und daß Sie so
pünktlich gekommen sind; ich liebe die
Pünktlichkeit und will es als ein gutes
Borzeichen betrachten, daß Sie dieselbe
besitzen. Ihr Brief, hier ist er," sic
nahm ihn mit zitternder Hand vom Tisch,
„hat mir gefallen; es spricht sich in ihm
Bestimmtheit und zugleich Bescheidenheit

Karl Beikcr.
Nach einer Photographie gezeichnet von C, Kolb. (S.3I)

Ans höheren Regionen.
Roman
von
Adolph Ttrecksnsr.
? (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)
x it einen: flüchtigen Blick hatte Helene das
HBild der beiden Damen, die dort vor :yr
^auf den: Sopha saßen, in sich ausgenommen
Beide machten ans sie einen durchaus mcht
angenehmen Eindruck, den wenigst ange-
nehmen die kleine Dame mik den klugen,
blitzenden blauen Augen. Helene meinte, daß diese fle-
nnt einen: feindseligen Blicke anschaue,
während die schwarzgekleidete Dame :hr
kann: eine besondere Aufmerksamkeit zu
widmen schien, sie blickte mit einem
eigenthümlich träumerischen Ausdruck
nieder auf die in: Schoß liegenden zittern-
den Hände, nachdem sie eben nur denn
Eintritt Helenens in das Zimmer flüch-
tig aufgeschaut hatte.
„Trete:: Sie näher, Fräulein, nehmen
Sie sich einen Stuhl und setzen Sie sich
hieher zu mir."
Die schwarzgekleidete Dame hatte
diese Worte mit einer tiefen, klang-'
vollen Stimme gesprochen. Sie hatte
es nicht der Mühe Werth erachtet, aufzu-
blicken, während sie sprach, ihre Augen
ruhten fortwährend auf den in: Schoß
ruhenden gefalteten Händen; erst als
Helene, den: Befehle Folge leistend, sich
auf einem Sessel nahe bei ihr nieder- ZZsifl
gelassen hatte, erhob sie den Blick und
schaute Helene Prüfend an, in dem-
selben Augenblick aber öffneten sich ihre
Augen weit, ein jäher Schreck durch-
zuckte die zusammengesunkene Gestalt, sie
richtete sich plötzlich kräftig auf, ein wcch-
selnder Ausdruck von Schrecken und maß-
losen: Staunen malte sich auf ihren: Ge-
sicht. Sie war für einen Augenblick
keines Wortes mächtig, ihre Lippen
bebten, sie schien sprechen zu wollen,
aber die Zunge versagte ihr den Dienst.
Helene befand sich in einer peinvollcn
Berlegenheit; der seltsame Empfang, der
ihr soeben erst von dem alten Diener
geworden war und der sich jetzt zu wie-'
derholen schien, beängstigte sie; es war WM
>hr unerklärlich, wodurch ihre Erschei-
nung auch auf die alte Dame einen so
erschütternden Eindruck machen konnte. l kk
Mit Zagen erwartete sie eine Anrede, V
welche ihr vielleicht Aufschluß geben
konnte; aber sie wartete vergeblich, die
Dame war so fassungslos, daß sie einiger
 
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