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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 22
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0494
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sicher nicht

I. B. S. Estrich, dänischer Premierminister.
Nach einer Photographie gezeichnet von E. Kolb. sS. 511)

des Westens eine Paffende Wohnung gefunden, war Jobst
Clamor mit Feuereifer an seine Arbeit gegangen. Bis in
die Nacht hinein saß er am Schreibtisch, erlaubte sich höch-
stens gegen Abend einen kurzen Spaziergang und den
Besuch eines Kaffeehauses, wo er Zeitungen las. Mit
Regine kam er nur bei den Mahlzeiten zusammen, und
nur während sie die Wärterin des Kindes in's Freie
begleitete, setzte er sich an das schlechte, gemiethete Kla-
vier — er wollte sie mit seiner „Dilettanten-Musik"
nicht belästigen; daß sie seinen Flügel verkauft hatte,
konnte er nicht überwinden; es war ihm ein neuer Be-
weis, wie vollständig er sich in ihr getäuscht. Er hatte
das singende, klingende Meisterwerk geliebt wie ein be-
seeltes Wesen; Jahrelang war cs ihm Freund und Ver-
trauter gewesen — und nun brachte ihm die Frau, an
deren liebevolles Verständniß er geglaubt hatte, eine
Summe Geldes dafür!

Unwillig hatte er sie zurückgewiesen.
„Mache damit, was Du willst, für mich ist jeder
Klapperkasten gut genug!" hatte er bitter gesagt, ünd
Regine, die sonst so schlagfertige, war stumm fort-
gegangen.
Immer auf's Neue fragte sie sich, was sie thun
könnte, ihn wieder zu gewinnen; hoffte von Tag zu
Tag, von Stunde zu Stunde, daß ihre Geduld oder
des Kindes Liebreiz, oder irgend ein äußeres Ereigniß
seinen starren Sinn besiegen werde. Aber er liebkoste
das Kind, ohne die Mutter zu beachten; sie zu be-
grüßen, wenn er ging oder kam, schien er verlernt zu
haben.
Eines Abends aber eilte er nicht, wie jetzt immer,
an ihrer Thüre vorbei. Wie ihr das Herz schlug, als
er eintrat! Das Kinderkleidchen, an dem sie nähte,
entsank ihren zitternden Händen, während er ungestüm
herantrat.
„Lies diese Notiz hier!" sagte er ton-
los, indem er ihr eine Zeitung reichte;
dann warf er sich in den nächsten Stuhl.
Mechanisch nahm sie das Blatt und
überflog die bezeichnete Stelle, ohne recht
zu verstehen, um was es sich handelte.
Sie las:
„Eine der ältesten, in unserem viel-
besuchten Gebirge anstößigen Adelsfamilien
ist durch einen entsetzlichen Unglücksfall
in Trauer versetzt. Der einzige Sohn des
Majoratsherrn von H.-M., ein — wie
wir hören — auch in künstlerischer Be-
ziehung hochbegabter junger Mann, der
Stolz seines Vaters, der Liebling seiner
ganzen Familie, ist von einem hohen
-ffffffx Felsenpfade in eines der grundlosen Moore
jener Gegend gestürzt und darin versunken.
Sein Pelzmantel, der am Unglücksorte
gefunden wurde, ist die letzte und einzige
Spur, die der Beklagenswerthe hinter-
lassen hat. Wie er um diese Jahreszeit
auf den gefährlichen Weg gerathen, ist
ein Räthsel, das Wohl niemals gelöst
ff werden wird. Sprächen nicht alle Ver-
hältnisse dagegen, so könnte man ver-
sucht sein, an einen Selbstmord zu glauben.
Natürlich hat das Gerücht auch nicht er-
mangelt, diese Deutung zu geben; auch
von einem Mord ist hin und wieder die
Rede, wir sind jedoch im Stande, diesen
Jrrthümern entschieden zu widersprechen;
es ist einfach ein Unglücksfall, der hier
vorliegt. Die großen Besitzungen der
Familie fallen an den einzigen Sohn
einer jüngeren Linie des Hauses."
„Was soll das?" fragte Regine, als
ä. sie zu Ende gekommen war.
„Regine, das verstehst Du nicht?"
chZ F rief Jobst Clamor, „es ist die Geschichte
' - meines Todes."
„Deines Todes!" wiederholte sie, ihn
anstarrend; Plötzlich schien ihr Alles klar

ll f Hohen-Moor.
Novelle
von
Claire v. Glümer.
(FvUschung.) ^chpruck vcrbokn.)
er Hauswirth hatte Frau Regine Wentzel
dem alten Grafen gegenüber als eine or-
dentliche Frau bezeichnet, die keinen: Men-
schen einen Pfennig schuldig geblieben sei;
aber über ihren jetzigen Aufenthalt wisse
er nichts zu sagen. In Leipzig war sie
geblieben, denn sie hatte Alles, was schwer
zu verpacken ist: Glas, Porzellan, Lampen und der-
gleichen verkauft — Möbel hatte sie außer
einem schönen Flügel, der ebenfalls ver-
kauft war, nicht besessen — war am
Morgen des 8. Januar, also dem Tage,
an dem Jobst Hohen-Moor verlassen, mit
ihren: Kindchen und ihren Koffern nach
dem Magdeburger Bahnhof gefahren, und
das war das Letzte, was der Wirth von
ihr zu sagen wußte. Briefe schien sie
nicht zu erwarten, wenigstens hatte sie
keine Adresse angegeben, wohin ihr etwas
nachgeschickt werden konnte. Auf der Post
dagegen, wo sich Graf Hohen-Moor er-
kundigte, lag die von Berlin gekommene
Weisung, Alles, was an Frau Regine
Wentzel gerichtet oder an sie adressirt
sein sollte — die Briefe an Jobst Clamor
trugen häufig ihren Namen, als den
seiner Wirthin — postlagernd nach Berlin ffxff^
zu senden.
Mit dem nächsten Zuge war an Frau
Regine Wentzel ein Brief des Grafen ab-
gegangen, in den: er ihr Jobst Clamor's
Lod meldete und um telegraphische An-
gäbe ihres Aufenthaltes bat. Zwei Tage
wartete er vergeblich auf Antwort, dann
fuhr er nach Berlin.
Sein Brief, auf dessen Umschlag er
sich als Absender angegeben hatte, war
nicht abgeholt worden. Der Postbeamte
erinnerte sich, daß vor Ankunft desselben
mehrmals nach Briefen an Frau Regine
Wentzel gefragt worden war, in den letzten
vier bis fünf Tagen jedoch nicht mehr. Auch >
die Berliner Polizei war nicht im Stande,
eine Frau Regine Wentzel nachzuweisen.
Unverrichteter Sache und um eine liebe
Hoffnung ärmer, kehrte Graf Hohen-Moor - ff
nach Hause zurück.
Als er nach Berlin gekommen, waren l I
Jobst Clamor und Regine schon nicht mehr -
dort gewesen; eine Zeitungsnotiz hatte
sie vertrieben.
Sobald Regine in einer stillen Straße
 
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