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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 23
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0517
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satteln. Jin wilden Ritt suchte er den Zorn und

sie neckisch hinzu. „Der „Kleine' muß doch mit rother

Auf Ho Heu-Moor.

Schmerz zu übertäuben, daß der Name, den der Sohn
von ihm empfing, kein makelloser sein durfte.

Kappe und rothein Fähnchen bei Dir gewesen sein."
Der alte Mann streckte wie abwehrend die Hand



Novelle
von
Claire v. Gliimer.
(Fortsetzung n. Schluß.) . . , , ,
(Nachdruck verboten.)
a, Herr Graf, das ist schwer zu sagen, wie
jenes Gerede aufgekommen ist," erwiederte
der Förster, „dergleichen ist plötzlich da,
Keiner weiß woher und wie so. Wenn man
es anpacken will, fließt's wie Sand durch
die Finger, lind wenn man Diesen und
Jenen darauf anredet, so hat er es eben unr gehört,
dagegen thun kann man nichts; man läßt es gehen
und lacht dazu."
Der Förster hatte Recht, es ließ sich nichts dagegen
thun; auch Wulf kam mehr und mehr zu dieser Ein-
sicht, aber „lachen", wie es der Alte verlangte, konnte
er nicht. Statt durch Gewohnheit leichter zn werden,
wuchs die Last des Bewußtseins,
daß feine Ehre angezweifelt werden
konnte, von Tag zu Tag. Am
meisten quälte ihu die Furcht, daß
Evy von dem Gerücht erfahren
könnte. Sie würde nicht daran
glauben, davon war er fest über-
zeugt, aber wer konnte Voraus-
sehen, wie der Schrecken des ersten
Augenblickes oder die fortdauernde
Pein ohnmächtigen Mitleidens auf
ihre zarte Organisation einwirkten?
Bei jeder Heimkehr von seinen Feld-
und Waldgängen war er in fieber-
hafter Erregung, bis ihm seine
kleine Frau mit der alten Heiter-
keit um den Hals fiel.
Daß er verändert war, ent-
ging ihr so wenig, wie der Mutter,
aber ihre Fragen, ob er krank
sei oder Verdruß gehabt habe,
machten ihn so ungeduldig, daß
sie die Sorge um ihn nur noch
gegen einander aussprachen.
Und dann kam der ersehnte,
gefürchtete Tag, der lang genährtes
Hoffen erfüllte. Wulf hielt einen
Sohn in den Armen, während
Evy die Mutter als Großmama
begrüßte und lächelnd und wei-
nend versicherte, sie hätte nun nichts
mehr zu wünschen, wäre ganz, ganz
glücklich. „O Wulf, bist Du es nicht?" fügte sie hinzu;
sie glaubte die Trübung, die sie in letzter Zeit so oft
geängstigt, auch jetzt in seinen Zügen zu sehen.
Wulf erschrak; ihre Seligkeit durfte nicht gestört wer-
den. „Ja, mein Liebling, ganz glücklich!" sagte er, legte
das Kind der Reinholdt in die Arme, küßte Evy's
kleine bleiche Hand, ging hinaus und ließ sein Pferd

Eines Tages, das Kind war schon acht Wochen
alt und trug seit vierzehn Tagen den Namen Heinz
Clamor, fiel es Evy schwer auf die Seele, daß sie sich
noch nicht wieder nach Vater Reinholdt umgesehen
hatte. Durch seine Tochter wußte sie, daß es ihm in
seiner Weise gut ging; aber der alte Mann, der immer
so freundlich gegen sie gewesen war, sollte sich nicht ver-
gessen glauben und sollte ihrem Kinde seinen Segen geben.
Dagegen lehnten sich jedoch Großmama Eveline so-
wohl wie Holdtchen entschieden auf. In die heiße,
von Torf- und Tabaksqualm erfüllte Stube des Alten
dürfe sie das Kind nicht bringen, erklärten sie; Evy
entschloß sich, ihnen den schlafenden Liebling anzuver-
trauen, und begab sich allein in die Wohnung des Alten.
„Kennst Du mich noch, Vater Reinholdt?" fragte
sie zu ihm tretend und umfaßte seine braune, runzlige
Linke — in der Rechten hielt er die Tabakspfeife —
mit ihren beiden Händen.
Er entzog ihr die Hand, um die Pelzmütze zu lüften.

I Friedrich Wilhelm von Baden und (eine Braut Prinzessin Hilda
Nach Photographien gezeichnet von C. Kolb. (S. 535)
„Gnädiges Fräulein Evy," antwortete er.
Sie lachte. „So darfst Du mich nicht mehr nennen,"
sagte sie, indem sie einen Schemel herbeizog und sich ihm
gegenübersetzte. „Ich bin nicht nur Vetter Wulf's Frau,
ich habe auch, inan hat es Dir gewiß erzählt, ein
Söhnchen, o, so ein Prachtkind. Aber Du mußt es
ja zu allererst gewußt haben, Vater Reinholdt," fügte

nach ihr aus.
„Nein, nein, gnädiges Fräu ... Frau Gräfin wollt'
ich sagen. Der ist nicht dagewesen . . . der kommt
nicht mehr seit der großen Missethat," antwortete er
mit schriller, klagender Stimme.
„Die große Missethat?" wiederholte Evy. „Was
willst Du damit sagen?"
Der Alte schob die Pelzkappe hin und her.
„Ich sagen — gar nichts," gab er zur Antwort,
indem er ängstlich umher sah. „Nein, nein, ich sage
nichts! . . . Die Lene hat's verboten . . . schilt so
immer auf mich ein."
Evy stutzte; was konnte ihr liebes Holdtchen ver-
schweigen wollen? Jedenfalls war das nicht länger
anszuführen. „Laß die Umschweife, Vater Reinholdt!"
sagte sic ungeduldig. „Die Missethat - was ist's
damit, und wer hat sie begangen?"
„Wer sie begangen hat?" wiederholte der Alte und
ein boshafter Strahl brach aus den blöden Augen.
„Wer anders als der Spötter und
Gottlose. Sic sind ja selbst dabei
gewesen, als der Herr Lieutenant,
hier auf dieser selbigen Stelle, den
Meinen' verhöhnt und verlacht,
und was ich von ihm erzählt habe,
Unsinn genannt hat. Wer ver-
spottet, was er nicht gesehen hat,
und das Alte nicht respektirt, macht
sich auch aus den heiligen zehn
Geboten nichts, wo es ebenso gut
heißt' ,Du sollst nicht begehren
Deines Nächsten Weib, Knecht,
Magd, Vieh und Alles, was sein
ist —wie: ,Du sollst nicht
tödtcn. . .'"
Er verstummte und nickte vor
sich hin; Evy legte die Hand auf
seinen Arm.
„Besinne Dich, Vater Rein?
holdt; von einer Missethat wolltest
Du mir erzählen," sagte sie.
„Bin ja schon dabei!" ant-
wortete er und fuhr in leiseren:
Tone hastig fort: „Der rechte Erb-
Herr von Hohen-Moor und der
rechte Bräutigam des gnädigen
Fräuleins wäre der Junker Jobst
Clamor gewesen; der aber soll im
von Nassau. schwarzen Moor versunken sein. Ja,
d'rin versunken ist er Wohl, aber
mit seinem eigenen Willen ebenso
wenig, wie aus Versehen . . . wie wär' er denn in
Wind und Wetter da hinauf gekommen? Hingeschleppt
hat inan ihn, todt oder lebendig — und gethan haben
kann's nur der Eine, der alleiwProfit davon gehabt hat."
Mit immer größer werdenden Augen hatte Evy
zugehört, bei den letzten Worten stieß sie einen durch-
dringenden Schrei aus und würde zu Boden gefallen
 
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