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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 24
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0540
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Der Chevalier de Ferrer.
Kriminal-Novelle
von
Johannes Emmer.
(Forschung.) (Nachdruck verboten.)
E >2 MÄ Gräfin Ida hatte ruhig wie immer, mit
ihrer volltönenden Stimme gesprochen, deren
Klang auf Jeden einen wohlthuenden Zau-
ber ausübte. Mit einer Handbewegung lud
sie dann van Son ein, neben ihr Platz
zu nehmen.
Das Gespräch begann mit den konventionellen Fragen
und Gegenreden, wie sie sich aus den Umständen des
Besuches ergaben. Van Son hatte sich
vorgenommen, sehr vorsichtig zu sein,
und sobald es die Schicklichkeit gestatte,
sich zu verabschieden. Jetzt, da er ihr
gegenüber saß, war dieser Vorsatz ver-
gasen.
„Der gestrige Abend war einer der
glücklichsten meines Lebens," kam es ihm
plötzlich über die Lippen. Er hatte diese
Phrase verbindlicher Höflichkeit schon oft
genug in seinem Leben ausgesprochen,
hier hatte er sie nicht aussprechen wollen,
aber halb unwillkürlich war sie ihm ge-
rade jetzt entschlüpft.
„In wie ferne?" fragte Gräfin Ida
und sah ihn ruhig an.
„Ermessen Sie die Größe meines
Glückes ans der Zahl der Unglücklichen,
welchen die Gunst versagt wurde, mit
Ihnen zu tanzen."
„Ah, wenn Sie das Glück nennen!
Sie sind wahrlich bescheiden." Das klang
wahrhaftig wie Spott.
„Glück ist, was Jeder sich als Glück
denkt, und Bescheidenheit ist oft nur eine
Maske, die der Kühne vornimmt, um
mehr zu erlangen. Der Bettler, welcher
stumm die Hand ausstreckt, erhält eher
eine Gabe, als wenn er uns mit lautem
Geschrei zudringlich belästigt."
„Welch' tiefsinnige Reflexionen über
einen — Ball!"
„Auch ein Ball kann von Bedeutung
werden für das Leben eines Menschen
oder — zweier," erwiederte er ernst.
„Das mag richtig sein, aber ich be-
daure den oder die, für welche es zutrifft."
Er sah sie überrascht an, den Sinn dieser
Bemerkung vermochte er nicht gleich zu
fassen.
„Darf ich nach dem Grunde dieses
Bedauerns fragen?"
„Weil in diesem Falle oft nur dem
Schein Bedeutung beigelcgt wird, und

dann kommen Mißverständnisse, Enttäuschung und Reue.
Auf eineni Balle soll man nichts Anderes suchen als
gute Tänzer."
„Ah?" Er empfand die Bemerkung als eine Ab-
fertigung. „Sie sahen in mir also auch nur den
guten Tänzer."
„Auf dem Balle — ja!" erwiederte sie rasch und
richtete sich dabei ein wenig auf. „Ich mag nichts
Halbes, Unfertiges leiden, auch in Kleinigkeiten nicht."
„Dann habe ich allerdings Ursache, sehr bescheiden
zu sein, wenn ich vor Ihren Angen nur in einer
Kleinigkeit als etwas Fertiges und Ganzes gelte."
„Es liegt ja nur an Ihnen, daß Sie mehr sind,
als nur ein guter Tänzer. Dem ganzen Mann steht
der Weg 'zu jedem Glücke offen und er hat das Recht,
kühn zu sein."
„Und wenn seine Kühnheit so weit ginge, nach dieser

Hand zu fassen —" er legte seine Hand auf die ihre,
welche sie auf der Lehne des Sopha's ruhen ließ.
Sie zog dieselbe ruhig, ohne Hast zurück. „Sie
vergessen, Herr van Son, daß ich bei meiner Bemer-
kung nicht von mir sprach."
Das ernüchterte ihn wie ein kaltes Sturzbad.
„Sie gestanden mir das Recht zu, kühn zu sein," hob
er wieder an.
„Noch nicht!" entgegnete sie mit scharfer Betonung.
„Und auch nicht mir gegenüber." Und mit einem kaum
merklichen Lächeln fügte sie hinzu: „Betrachten Sie
mich denn als Ihre Feindin?"
„Feindin?" wiederholte er verblüfft.
„Der Sie eine Probe geben wollen, daß Sie die
vornehmste Eigenschaft für Ihren Beruf besitzen."
Ein gezwungener Scherz, dachte van Son, mußte
aber doch zugestehen, daß sie mit großer Gewandtheit
dem Gespräch dadurch eine harmlosere
Wendung gegeben hatte, die ihm den
Rückzug erleichterte. Er ging denn auch
auf den scherzhaften Ton ein.
„Der Dichter hat uns Soldaten ja schon
treffend geschildert; im Kriege: Burgen
mit ragenden Zinnen; im Frieden:
Mädchen mit stolzen Sinnen — das sind
unsere Feinde, die wir bezwingen wollen."
„Ich habe schon gehört, daß Sic
viele Siege erfochten haben — im Frie-
den." Der Hieb traf, diese Anspielung
konnte nicht mißverstanden werden.
„Sie meinen," erwiederte er bitter,
„daß es für mich Zeit wäre, einzu-
halten. Run, vielleicht haben Sie Recht,
daß es besser fei, künftighin auf Siege
zu verzichten, deren man sich nicht freuen
kann, weil man sie mit dem Herzblute
erkaufen muß."
Ob sie Wohl den Sinn dieser Worte
faßte? Es schien so, denn sie sah ihn
mit einem schreckhaften Ausdruck an und
aus ihren Lippen wich das Blut. Van
Son erhob sich und nahm Abschied; die
Beiden besaßen genug Selbstbeherrschung,
um die höflichen Formen auch in einem
Augenblicke genau zu beobachten, in wel-
chem ihr inneres Wesen in vollem Auf-
ruhr sich befand.
Die Portiere war nach der letzten
Verbeugung hinter van Son zugefallen;
Gräfin Ida stand regungslos in der
Mitte des Salons, dann hob sie mit
einer leidenschaftlichen Geberde die Hände
empor und Preßte sie auf die Stirne.
„Nur das nicht, nur das nicht!" mur-
melte sie. „Warum kann mein Mund
nicht offenbaren, was das Herz sagen
will? Warum bin ich nicht wie Andere,
die durch. Demuth herrschen und durch Er-
gebung siegen können? Warum?" Und
Niemand war, der ihr Antwort hätte geben
können auf diese verzweiflungsvolle Klage.

Heinrich Bötel.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 553)
 
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