Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

DOI Heft:
Heft 7
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0148
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext



milde und freundlich lächelnde Angesicht schaute. Ein
Mann von Geist, von klarem, scharfem Verstand
war er gewiß, dafür zeugte sein leuchtendes, lebhaftes
Auge; aber gerade in diesem Auge lag ein gewisses
unerklärbares Etwas, ein unbestimmter Ausdruck,
der dem liebenswürdigen Lächeln, welches den fein-
geschnittenen Mund umspielte, zu widersprechen schien.
Die ganze Erscheinung des stattlichen alten Herrn
machte einen angenehmen, Vertrauen erweckenden Ein-
druck, aber wie das Ange in seinem noch fast jugend-
lichen Feuer dem schneeweißen Haar und Bart zu
widersprechen schien, so Paßte auch der Weiche sanfte
Ton der Stimme nicht zu dem Ausdruck dieses Auges.
Es lagen in der ganzen Erscheinung und in dein
Auftreten des Professors innere Widersprüche, die
Helene nicht zu vereinen wußte und die ihr ein un-
bestimmtes Mißtrauen einflößten.

Robert Byr <R. v. Bayer).
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 1-ul)

Durfte Helene den Besuch des Professors abweisen?
Sie war zweifelhaft darüber; den des Geheimraths
Ritter würde sie nicht abgewiesen haben, zögernd ant-
wortete sic auf seine Anrede: „Die Frau Baronin" —
sie wußte nicht, aus welchem Grunde sic nicht, wie sic
es schon gewöhnt war, Mama, sondern die Frau Ba-
ronin sagte, unwillkürlich gebrauchte sie die förmliche
Bezeichnung — „die Frau Baronin ist sehr ange-
griffen, sie hat sich deshalb in ihr Schlafzimmer zu-
rückgezogen, um vor dem Diner ein halbes Stündchen
zu schlafen. Ich glaube nicht, Herr Professor, daß ich
es wagen darf, sie zu Wecken."
„Um keinen Preis dürfen Sie das thun. Ich möchte
der verehrten Frau nicht eine Sekunde ihres kostbaren
Schlummers rauben; aber ich glaube, daß es ihr lieb
sein wird, Wenn sie mich nach ihrem Erwachen sic
erwartend findet. Ich würde Ihnen gern die Unbe-
quemlichkeit ersparen, mich so lange anf-
zunehmen, aber ich bin ein alter Mann,
eben erst von einer Krankheit und noch
nicht vollkommen genesen, da ist es nur
schwer geworden, von dem Wagen bis
hieher die Treppe herauf zu gehen; ich
bedarf einer kurzen Ruhe und bin kaum
im Stande, jetzt fortzugehen und viel-
leicht in einer halben Stunde wieder zu
kommen."
Der Professor hatte bei der ersten
Begrüßung Helenens gar nicht den Ein-
druck hinfälliger Schwäche gemacht, jetzt
aber stand er vor ihr in gebückter Haltung,
er erschien wirklich als ein schwacher,
von übergroßer Anstrengung erschöpfter
alter Mann; Helene konnte gar nicht
.. anders, sie mußte ihn bitten, einzutreten.
Sie wollte ihn direkt in den Empfangs-
salon führen, er aber legte ihr sanft die
Hand auf den Arm.
„Sie dürfen mich nicht als einen
U Fremden betrachten und empfangen, gnä-
diges Fräulein," sagte er, Helene lächelnd
zunickend. „Meine Besuche werden von
Ihrer verehrten Frau Mutter nicht als
Staatsvisite im Empstmgssalon, sondern
als die Besuche eines ergebenen Freundes
im traulichen Wohnzimmer angenommen.
Auf den Lehnsessel am Sopha habe ich
ein Recht erworben, welches ich auch
jetzt in Anspruch nehme."
Es lag in den mit dem freundlichsten
Lone halb scherzend gesprochenen Worten
KMxHHx eine gewisse Vertraulichkeit, durch welche
sich Helene unangenehm berührt fühlte,
auch daß er die Baronin „Ihre Frau
« Mutter" nannte, fiel, ihr mißfällig auf.
Wie kam er zu diesem Worte? Ihm
hatte die Baronin sie noch nicht vorge-
> stellt! Vermochte aber dieser merkwür-
dige Mensch in den Gedanken zu lesen?
Er führ nämlich, während Helene ihm
nach dem Wohnzimmer voranging, fort:

Aus höheren Ktgiouen.
R o m a n
von
Adolph Ltreckfun.
ie müssen es einem Ihnen allerdings Per-
sönlich noch nicht bekannten Freunde des
Hauses schon verzeihen, gnädiges Fräu-
lein, wenn er vom Portier sich nicht hat
abwcisen lassen," sagte der Fremde, He-
lene sehr verbindlich begrüßend. „Ich weiß
aber, daß die Fran Baronin mir gewiß zürnen würde,
wenn ich ihr heute Abend unttheilte, daß ich mich
vom Portier habe zurückweisen lassen
durch einen Befehl, der Wohl für fremde
Besucher, wahrscheinlich aber nicht für
mich gegeben worden ist. Ob ich mich
irre, werden Sie am besten beurtheilen
können, gnädiges Fräulein, wenn ich
mich Ihnen vorstelle. Mein Name ist
Mondberger."
Dies also war der Professor Mond-
berger ! Helene hatte schon viel von ihm
gehört und war wirklich-neugierig auf
seine Bekanntschaft; der Geheimrath hatte
ihn als einen Abenteurer, als einen
frommen Heuchler geschildert, als einen
Betrüger, der im Bündniß mit der
Generalin v. Ohlen auf den Aberglauben
der alten Baronin spekulire; der Haupt-
mann v. Ogorin hatte sich zwar nicht so
bestimmt über ihn geäußert, aber von
Taschenspielerkunststücken gesprochen, die
der Professor den Gläubigen vormache;
dagegen hatte die Baronin mehrfach von
deni vortrefflichen Mann erzählt, der, ein
Wohlthäter der armen Unglücklichen, ein
fühlendes Herz für jede Noth und jeden
Schmerz habe, der, obgleich Besitzer
eines bedeutenden Vermögens, doch oft
selbst in Noth sei, weil er in schranken-
loser Wöhlthätigkeit über seine Verhält-
nisse hinaus irgend einen: Armen geholfen
habe. Die Baronin fühlte für den aus-
gezeichneten Mann eine aufrichtige Ver-
ehrung, sie rühmte nicht nur sein weiches,
vortreffliches Herz, sondern auch seinen
klaren Verstand, er sei ihr stets ein treuer
Freund und Berather gewesen, zu we-
nigen Menschen fühle sie ein so fest-
begründetes Vertrauen, wie zu ihm.
Verdiente der Professor ein so hohes
Vertrauen? Helene vermochte sich keine
Antwort ans diese Frage zu geben,
welche sich ihr unwillkürlich aufdrängtc,
als sie dem so vielgernhmten und ange-
seindeten Mann zum ersten Male in das
 
Annotationen