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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 15
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0333
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dieser Zeit schwere innere Kämpfe zu bestehen. Ihr
gesunder natürlicher Verstand kämpfte gegen den ent-
setzlichen Unsinn, den die meisten dieser Schriften als
volle, unumstößliche Wahrheit predigten, ihr feines
Zartgefühl empörte sich gegen die Platte Gemeinheit,
die ihr unverhüllt entgegentrat. Die meisten Geister-
manifestationen, von denen sie las, waren so unerhört
trivial und so grenzenlos albern, daß sie von Wider-
willen erfüllt wurde. Dann aber traf sie plötzlich
wieder auf Schriften, in denen ein Geist frommen
Glaubens sie wohlthuend ansprach. Manche Sonder-
barkeit mußte sie Wohl auch in diesen letzteren Büchern
in den Kanf nehmen, aber sie sah darüber fort, zogen
sie doch ihre eigenen Wünsche zum Glauben. Die Aus-
sicht, mit dem Geist ihres innigst geliebten Gatten
und dem ihrer armen Helene durch spiritistische Ver-
mittelung in seelischen Verkehr zu treten, war für sie

befahl, als
ihre Equipage angespannt werde. Sie
fuhr dann von Buchhandlung zu Buch-
handlung, um alle die Bücher, welche
die von dem Geheimrath so herb ver-
spottete spiritistische Literatur geschaffen
hatte, zu kaufen und diejenigen, welche
sie in Berlin nicht vorräthig fand, zu
bestellen. Kaum konnte sie die Zeit er-
warten, bis sie mit ihren Büchern sich
allein in ihrem Zimmer befand und an-
fangen konnte, sie zu stndircn. Mit
glühenden Wangen und funkelnden Augen
las sie Stunden und Stunden lang. Es
war ein Zufall, daß das erste Buch,
Welches sie zur Hand genommen hatte,
das eines deutschen Gelehrten war, der
zuerst als ein Ungläubiger den: Wunder
des Geisterklopfens gegenübergestanden
hatte, dann aber, nachdem er alle mög-
lichen scharfsinnig ausgedachten Versuche,
einen Betrug zu entdecken, vergeblich ge-
macht hatte, überzeugt worden War und
nun begeistert als Vertheidiger der neuen
Lehre anftrat. Ein solches Buch war ganz
geeignet, die ohnehin zum Glauben nur
zu sehr geneigte Frau zu überzeugen.
Entsprach doch das, was sie hier las,
den dunklen Ahnungen, die sie erfüllt
hatten, den Wünschen, die ihr Herz be-
wegten. Es war möglich, schon im
irdischen Leben mit den Geistern der
lieben Verstorbenen in Verkehr zu treten,
sich mit ihnen zu unterhalten, Ant-
worten auf ihnen vorgelegte Fragen zu
bekommen. Der Tod trennte nicht mehr
grausam Diejenigen, die sich liebten, es
blieb zwischen ihnen auch in diesem Le-
ben ein schönes Band.
In den nächsten Wochen vertiefte sich
die nach einer höheren Erkenntniß strebende
Frau in den Wust spiritistischer Schriften
in deutscher und englischer Sprache, die
ihr in reicher Fülle vom Buchhändler
zugesendet wurden. Sie hatte während

Friedrich Specht.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 843)

so Verlockend, daß die immer wieder erwachenden
nagenden Zweifel durch solche Hoffnung stets bekämpft
wurden.
Sie hatte Jahre gebraucht, ehe sie fest in dem
neuen Glauben geworden war; während dieser langen
Zeit des Zweifelns und Kämpfens war sie ganz auf
sich selbst angewiesen gewesen; nur aus Büchern hatte
sie sich Raths erholen können, denn der einzige Mensch,
zu welchem sie ein volles Vertrauen hatte, der Geheim-
rath, war ein Spötter und Verächter des Spiritismus,
an ihn konnte sie sich nicht wenden. Sie wagte cs
nicht einmal, ihm zu sagen, daß sie seit Jahren lange
Stunden hingebracht im Studium der spiritistischen
Literatur; er hätte sie sicher nur ausgelacht und ver-
spottet.
Und doch fühlte sie das dringende Bedürfnis;, sich
mitznthcilen, in Gedankenaustausch zu treten mit irgend
einem Menschen. Aus ihrem alten Be-
kannten- und Freundeskreise war sie
längst gelöst, sie lebte ganz einsam,
nur mit ihrer Schwägerin, der Gene-
ralin v. Olsten, war sie seit einiger Zeit
wieder nach langer Feindschaft in Ver-
bindung getreten. Der Schwägerin allein
also konnte sie sich anvertraucn, und sic
that es, wenn auch mit Widerstreben,
denn sympathisch war ihr die Generalin
nicht, obgleich diese ihr die höchste Lie-
benswürdigkeit erwies und sich so ergeben,
so dankbar für die genossenen Wohlthaten
zeigte, daß die Baronin endlich an ihre
Liebe glauben mußte.
Bei der ersten Mittheilung, welche
die Baronin der Generalin über ihre
spiritistischen Studien machte, horchte
diese hoch auf. Ein spöttisches Lächeln
spielte — unbemerkt von der Baronin —
nm die schmalen Lippen, aber es ver-
schwand im Augenblick wieder, und mit
höchster Aufmerksamkeit lauschte die über-
raschte Frau den Mittheilungen der
Schwägerin.
Zwei Gläubige hatten sich gefunden!
Mit wahrer Begeisterung sprach die Ge-
' neralin von den Wundern des Spiri-
tismus ; auch ihr war die neue Lehre
untrügliche Wahrheit, auch sic konnte
in ihrem frommen Glauben nicht dadurch
erschüttert werden, daß einige unsaubere
Geister es versucht hatten, in nnfläthigen
Schriften die heilige Lehre herabzu-
würdigen. Unter den Bekennern gibt
es natürlich, wie überall, auch Un-
würdige, wie konnte der Spiritismus
befreit seiu von denp schlechten Gesindel,
uv- welches überall zuerst sich an die Ober-
fläche drängt. Die Generalin hatte zwar
nicht eine aus langem Studium aller
hervorragenden Werke entsprossene Kennt-
nis; aller spiritistischen Lehren, aber ihr
Glaube entsprang aus einen: frommen

Ms höheren Regionen.
R o m a n
von
Adolph Strerkfuß.
lFMschung.) Vorboten.»
er Geheimrath glaubte seine alte Freundin
von ihren: krankhaften Aberglauben geheilt
zu haben, sie hatte ihn: ruhig, aufmerksam
zugehört und nut keinem Wort wider-
sprochen; er ahnte nicht, daß er gerade das
Gegentheil von dem bewirkt hatte, was er
zu erreichen beabsichtigte. Die Baronin
der Geheimrath sie verlassen hatte, daß
 
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