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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 21
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0471
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aber wmn es von Papiergeld so dick war, verlohnte
sich's schon der Mühe, etwas darum zu wagen. Schon
war er im Begriff, cs aus Jobst Clamor's Tasche in
die eigene zu überführen, als er es wieder ans der
Hand gleiten ließ. Warum nicht lieber den Pelz dazu
mitnehmend Je höher sie stiegen, wahrend die Däm-
merung hereinbrach, um so empfindlicher drang die
Kälte durch die fadenscheinigen Kleidungsstücke des
Strolches, indeß der Mann da vor ihm in aller Be-
haglichkeit seinen Weg verfolgte, der sicherlich auch kein
Tugendpfad Ivar, denn ehe ein Hohen-Moor, den eigenen
Gepäckträger machend, auf diesem Klettersteige zur
Bahnstation ging - !
Der Mann spitzte die Lippen zu einem unhörbaren
Pfiff und überlegte, wann und wie er sein Vorhaben
am besten ausführen könnte. Noch fünf Minuten, und
die Höhe war erreicht, aber auf den Viel begangenen
Wegen um Schäferdorf lief er, wenn
ihn der Beraubte verfolgen ließ, zu große
Gefahr. Besser war es,, die Beute und
sich selbst sofort in Sicherheit zu bringen.
Umherspähend sah er zwei inmitten
des Flußbettes liegende Felsstücke die ihm
als Brücke dienen konnten; rasch warf er
die Reisetasche, die ihn gehindert Hütte, zu
Boden, schwang sich, den Stock ein-
stemmend, mit großer Gewandtheit über
einen tosenden Wassersturz auf den ersten
Felsblock hinüber und brach, als Jobst
Clamor sich umsah, in sein heiseres,
widerwärtiges Lachen aus.
„Adjes, Herr v. Hohen-Moor!" schrie
er ihm zu. „Wenn Sie final wieder
auf heimlichen Wegen sind, schreiben Sie
Ihren Namen nicht auf Reisetaschen.
Zum Dank für meinen guten Rath können
Sie, wenn Sie wieder nach Haus kommen,
die Lene Reinholdt von mir grüßen, das
heißt von ihrem Mann, dem Rieger.
Können ihr auch sagen, daß ich auf dem
Wege zu ihr gewesen bin, mich aber
anders resolvirt habe; denn was da im
Pelz steckt, wird mir weiter helfen, als
ihre Paar Groschen." Mit abermaligem
Auflachen als Antwort auf den „Schuft",
den ihm Jobst Clamor zuschrie, schwang
er sich auf den zweiten Block, von dort
an das jenseitige Ufer und war im
nächsten Augenblick zwischen Dorngc-
strnpp verschwunden.
Einen Theil seiner Worte hatte das
Tosen des Waldbaches verschlungen, die
letzten aber hatte Jobst Clamor deutlich
verstanden. War es möglich, daß er so
unvorsichtig gewesen, sein Portefeuille in
den Reisepelz zu steckend Ein Griff an
die Brusttasche überzeugte ihn, daß es
nicht der Fall war; dagegen fiel ihm
ein, daß er sich im letzten Augenblick
darauf besonnen hatte, Reginens Bild
im Koffer gelassen zu haben. Das hatte

werden."
Der Mann lachte auf.
„Gut bezahlt — natürlich! Das ist
fii Zauberwort, was Alles bezwingt!"
sagte er höhnisch mit heiserer Stimme.
„Äa, geben Sie her . . . gut bezahlt!
Meine Frau mag ihre Sehnsucht nach
mir noch ein Paar Stunden länger aus-
halten!"
Mit abermaligem Auflachcn entriß
er Jobst Clamor die Reisetasche und trat
zurück, ihn Vvrangehen zu lassen.
Nach wenigen Schritten - er hatte
mit schnellem Ueberblick eine alte Adresse
auf der Tasche entdeckt und gelesen —
sagte er: „Mit Verlaub, Herr, wenn
Sie hier in der Gegend Bescheid wissen,
ich habe in Hohen-Moor ein paar gute
Freunde gehabt und möchte wissen, wie's
damit aussicht."
Jobst Clamor blieb stehen
„In Hohen-Moor — Sied" rief er.
„Na, warum denn nicht!" fiel ihm
der Mann mit häßlichem Lachen in's
Wort. „Natürlich nicht in den Herr-
schaftszimmern, aber im Stall und in
der Küche; da gibt's auch Freundschaften
und Liebesgeschichten, Bosheit und Falsch-
heit, wie im feinsten Salon. Mein
Freund — so einer, der mir gern die
Augen ausgekratzt hätte — war der
Schäfer des Herrn Grafen, der Thomas
Reinholdt — na, der alte Gesell wird
Wohl nur noch mit den Würmern im
Grabe Freundschaft halten."
„Sie irren, der alte Reinholdt lebt,"
antwortete Jobst Clamor, dein sein Be-
gleiter immer unheimlicher wurde.
„Was Sie sagen!" rief der Mann.
„Der Reinholdt lebt noch — ein unver-
schämter alter Bursche, der nicht genug
kriegen kann. Und seine Tochter, die
Lene, eine Heuchlerin und Heulliese,
wie's gewiß keine zweite gibt, spinnt
die auch noch ihre Seide und ihre Jn-
triguen in Hohen-Moor?"

f Hohen- M o o r.
Novelle
von
Claire v. Winner.
^Nachdruck verboten.)
eda, Sie . . . wollen Sie mit mir um-
kehren und mir die Tasche nach Eisenhof
tragend" fragte Jobst den ihm begegnen-
den unheimlichen Menschen und fügte,
als dieser wie überlegend stehen blieb,
hinzu: „Sie sollen gut dafür bezahlt

„Sie ist Kammerfrau der verwittwctcn Gräfin und
steht bei der Herrschaft in hohem Ansehen," gab Jobst
Clamor unwillig zur Antwort. „Damit lassen Sie es
genug sein, lieber Mann; nehmen Sie mir lieber auch
den Pelz ab, er wird mir zu warm."
Der Mann nahm den Mantel auf den Arm und
grinste höhnisch hinter Jobst Clamor her, der jetzt die
letzte, beschwerlichste Steigung, eine lange Treppe wild
übereinander geschichteter Felsblöcke, zu erklimmen be-
gann. Dicht hinter ihm hergehend, hing sein Begleiter
die Reisetasche an den Stock, den er über die Schulter
nahm, worauf er mit der freigewordenen Rechten das
Futter des Pelzes zu untersuchen begann. Richtig —
da war die erwartete Brusttasche und in derselben steckte
ein Portefeuille, zu gut verschlossen, um es jetzt zu
öffnen; Gold schien es nicht zu enthalten, das hätten
die geübten Finger, die es untersuchten, herausgefühlt,

Eduard Flegel, Asrikareisender.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 487)
 
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