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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 6
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0124
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um zu be-

gcmeldet

das Gefühl einer polizeilichen Vernehmung hatte. Herr
v. Welser erschien ihr als ein Kavalier, als ein Standes-
genosse, der sich ans Thcilnahme nach ihrem Ergehen
erkundigte, nicht als Polizeibeamter, der kraft seines
Amtes, sie zu vernehmen gekommen war. Sie nahm
daher gar keinen Anstand, ihm offen zu erklären, daß
ihr eigentlich jede kriminalpolizciliche Untersuchung des
unangenehmen Vorfalles unbequem und störend sei.
Sie trage gar kein Verlangen darnach, die Einbrecher
entdeckt und bestraft zu sehen, auch wolle sie gern das
ihr geraubte Geld im Stich lassen. So bedeutend die
Summe sei, wiege sic doch für sic die Unannehmlich-
keit nicht auf, vielleicht vor das Gericht geladen und
als Zeugin vernommen zu werden. Von Werth seien
ihr nur die gestohlenen Familienpapiere; wenn ihr
Herr v. Welser zur Wiedererlangung derselben behilf-
lich sein wolle, ohne daß eine eigentliche Untersuchung

gerettet," da

ihm und er hörte ihr mit achtungsvoller
Aufmerksamkeit zu, nur als sie in ihrer
Erzählung die Todesangst schilderte, die
sie ergriffen, als sie von dem auf ihr
Gesicht gepreßten Kissen halb erstickt
worden sei, und dann fortfuhr: „Plötz-
lich fühlte ich mich frei, ich konnte die
Kissen znrückwerfen und sah meine Tochter
ringen mit dem entsetzlichen Menschen,
den sie mit ihren Armen umfaßt hielt,
sie hat mir das Leben
unterbrach er sie.
„Verzeihung, gnädige Frau," sagte
er, mit forschendem Blick zuerst Helene,
die schweigend neben der Baronin saß,
dann diese selbst anschauend, „ich muß
mir erlauben, Sie zu unterbrechen. In
den polizeilichen Meldelisten muß ein
Jrrthum vorhanden sein, sie enthalten
nichts davon, daß eine Tochter bei Ihnen
Wohnt und doch sprachen Sie soeben von
Ihrer Tochter —!"
Die Baronin wurde einen Augenblick
verwirrt durch diesen Einwand, aber sie
faßte sich schnell. „Ich sprach von meiner
lieben Pflegetochter hier, meiner Helene,
welche sich seit acht Tagen in meinem
Hause befindet. Ich glaube, mein Die-
ner hat die vorschriftsmäßige Polizeiliche
Meldung besorgt."
„Ganz recht, Fräulein Helene Müller,
angemeldet als die Gesellschaftsdame der
gnädigen Frau. Ich danke sehr für
die gütige Aufklärung und bitte fort-
zufahren."
Er unterbrach die Baronin nicht ferner
während ihrer kurzen Erzählung, aber
mehrfach flog sein Blick von ihr zu
Helene und von dieser zur Baronin zu-
rück, er schien die Gesichtszüge der alten
Dame mit denen des jungen Mädchens
forschend zu vergleichen.
„Nur eine Frage erlaube ich mir
noch, gnädige Frau," sagte er, als
die Baronin ihre einfache' Darstellung

eingeleitet werde, würde sie ihm ganz besonders dank-
bar sein.
„Wenn es irgend möglich ist, gnädige Frau, werde
ich gern Ihren Wunsch erfüllen," erwiederte der Krimi-
nalkommisfär freundlich; „aber gerade, um zu be-
urtheilen, ob ich es mit meiner Amtspflicht Vereinen
kann, in rein privater Weise den Dieben nachzuforschen
und Ihnen zu der Wiedererlangung der Papiere be-
hilflich zu sein, muß ich genau unterrichtet sein. Ich
bitte Sie deshalb, mir volles Vertrauen zu schenken,
jedenfalls verspreche ich Ihnen, daß Sie so wenig,
wie dies irgend möglich ist, durch die Untersuchung
belästigt werden sollen. Ich werde jede mit meinen:
Amt vereinbare Rücksicht auf Ihre Wünsche nehmen."
Nach einer solchen Zusicherung stand die Baronin
nicht an, die Bitte des Herrn v. Welser zu erfüllen.
Sie erzählte

l>i. Hermann Nothnagel.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 127)

Ans lMereu ^egilmell.
Roma n
von
Adolph Streckfust.
(Fortsetzung.)
) pz (Nachdruck verboten.)
« er Herr Kriminälkommissär v. Welser!"
Es war noch ziemlich früh am Mor-
gen, die Baronin hatte sich, nachdem sie
einige Stunden geschlummert hatte, in
ihrem Wohnzimmer auf dem Sopha nieder-
gelassen, Helene schenkte ihr eben den
Morgenkaffee ein, als der berühmte Kri-
minalpolizeibeamte durch den alten Walter
wurde.
Die Baronin war nicht ganz ange-
nehm überrascht. Einen Polizeibeamten
von so hoher amtlicher Stellung, der
noch obcnein ein Edelmann aus alter-
vornehmer Familie war, mußte sie Per-
sönlich empfangen, während sic gehofft
hatte, selbst mit den immerhin fatalen
Nachforschungen nach den Dieben gar
nicht behelligt zu werden. Der Schutz-
mannswachtmeister, der schon vor zwei
Stunden die ersten Recherchen gemacht
hatte, war nicht von ihr empfangen
worden; der alte Walter hatte ihm die
Vorgänge der Nacht erzählt, der Wacht-
meister hatte auch, als er hörte, die
Frau Baronin schlafe noch, nicht ver-
langt, sie zu sprechen, dies aber verlangte
der Kriminalkommissar, der sich ihr aus-
drücklich melden ließ.
Der Besuch war ihr nicht angenehm, -
aber sie durfte ihn nicht abweisen und
so empfing sie den Herrn v. Welser p
mit derjenigen Höflichkeit, welche sie sei- ff
nem Amt und seinem Namen schuldig hi
zu sein glaubte und die er auch durch
sein Auftreten verdiente. Er zeigte sich
als ein feingebildeter Mann, der mit H
liebenswürdiger Bescheidenheit sich der W
alten Dame nahte, sie höchst respektvoll W
begrüßte und sein Bedauern aussprach, H
daß seine Amtspflicht ihn zwinge, sie ff
in so früher Stunde schon zu stören;
jede verlorene Stunde aber sei bei einer
Nachforschung nach einem begangenen
Verbrechen von Bedeutung und mache
die Entdeckung schwieriger, er hoffe des-
halb die Verzeihung der gnädigen Frau
zu finden für sein frühes Erscheinen. Er-
bat dann die Frau Baronin, ihm in ganz
ungezwungener Weise die Vorgänge der
Nacht zu erzählen.
Sein ganzes Wesen war so zutrauen-
erweckend, daß die Baronin gar nicht
 
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